Sepia
ein solides Gehege für den Kompost in seinem blühenden und fruchtenden Garten.
Amen.
Frühmorgens findet Eli über ihrem Rucksack Antons alte Lederjacke. In Briefen hatte er behauptet, die gäbe es nicht mehr. Verschenkt, verschwunden, geklaut. Er hat selbst ein bisschen geglaubt, dass es keinen Zweck hat, zu suchen. Und außerdem dachte: Die Jacke bleibt hier. Denn Eli steht bestimmt eines Tages samt Fahrrad unter dem Fenster. Sie kommt wieder heim, und dann ist alles beisammen. Jacke, Eli und Anton, alles unter einem Dach. Mit der Taschenlampe war er gestern noch die Treppen hoch in die Bodenkammer gestiegen. Dorthatte er die Rotfrontkämpferjacke während der Nazizeit aufgehoben. Er musste sie nur aus dem Schrank herausnehmen. Mit leichter Hand. Was fort ist, brummt nicht mehr, und hoffentlich lässt sie die Jacke nicht irgendwo hängen. Das Mensch ist ja jetzt auf sich alleine gestellt. Niemand passt auf, weder Vater noch Mutter, und nun hat nicht einmal mehr er, Anton, ein Auge drauf, und mit dem lieben Gott ist das eine sehr heikle Sache. Manchmal hoffen wir einfach, und in diesen Hoffnungen steckt er wahrscheinlich, der Himmlische Vater.
Eli legt einen Zettel neben den ziemlich theatralisch schlafenden Großvater. Danke und bleibe gesund. Deine Eli.
Anton schnarcht, röchelt, schielt aus den Augenwinkeln. Eli zieht die Tür leise ins Schloss.
Richtung Berlin. Der Leiter der HO-Schuhgeschäfte fährt einen Wartburg und hat nichts dagegen, dass Eli einsteigt, hinten oder vorn, wie sie will.
Eli steigt hinten ein. Hinten kann sie am besten an alles denken. Der Rucksack mit der Schreibmaschine sitzt neben ihr. Die Lederjacke trägt sie auf dem Leibe. Nun müsste sie sich noch die Haare abschneiden lassen, dann wäre sie einen Schritt weiter, vielleicht schon mittendrin in der Metamorphose, aber Frisör kostet Geld, Eli hat inzwischen ringsherum gesehen: Eine Kurzhaarfrisur braucht Pflege.
Im Erdgeschoss der Tauber-Villa wirtschaftet die Studentin Erika. Auf einem Gaskocher brodelt der Wäschetopf. Seifendampf wabert aus dem grün gefliesten Flurbereich, wo Zinkwannen, Eimer stapeln. Im Vestibül parkt ein Kinderwagen. Alle anderen Studentinnen sind unterwegs, Praktikum, Drehzeit.
Eli hat Windeln abgenommen. Im Vorgarten, von Pappel zu Pappel, baumelt die Leine, verblichene Klammern. Ein Arm voll trockener Wäsche.
Kannst reinkommen, ruft Erika durch die offene Tür. Erika trägt eine weiße Hose und ein weißes Männerhemd; weiße Lappen liegen auf dem Tisch. Flaschen und Watte, ein Schreibblock. Erika hat lange weizenblonde Haare. Sie studiert Schauspiel. Der Säugling ist nun schon drei Monate alt. Ein Junge. Er liegt in einem kunterbunt gestrichenen Wäschekorb.
Eli? Bist du wieder da. Kannst reinkommen.
Erika hat viel zu erzählen.
Ich komme gleich, ruft Eli.
Eli schleppt ihren Rucksack die Treppe hinauf. Hier oben in der ersten Etage, rechts hinter der Doppeltür, das ist ihre Behausung. Das hiesige Boudoir. Die Studentenmöbel in den sieben Internaten kommen aus dem Betriebsteil Schul- und Kaserneneinrichtungen des Kombinates für Holzverarbeitung Heidenau/Sachsen. Eine Möbelliste hängt an der Tür. Stückzahl. Magazinnummern. Drei Betten, drei Schränke, drei Stühle, drei Regale, drei schwarze Leselampen, in der Mitte ein großer Tisch. An goldenen Seidenkordeln hängt von der Decke herab eine Alabasterschale, wenn man will, hat man gelb gemasertes Licht, Schlafzimmerlicht. Schlummerlicht des Kammersängers Richard Tauber. Eli schiebt den Tisch aus der Mitte direkt unter das Flügelfenster. Darauf platziert sie die Schreibmaschine und eine von den schwarzen Leselampen. Vor den Tisch stellt sie einen Schul- und Kaserneneinrichtungsstuhl. Die Lederjacke hängt sie über die Lehne. Mein Sitz, mein Platz, mein Thron. So pflanzt sich Eli an diesen dritten Ort in diese ziemlich fremden Dimensionen.
Der Blick geht auf drei hohe zerzauste Pappeln. Nächstens will sie ein Plakat von Eisensteins Film
Panzerkreuzer Potemkin
aufhängen.
Sie macht das Fenster auf, spürt die Luft, ein kühler Hauch Furcht und Freiheit. Sie sieht, wie eine Amsel in den Pappelzweigenverschwindet. Schnell und nun schon zum dritten Mal. Immer an der gleichen Stelle.
Ich komme sofort, ruft Eli.
Erika besitzt einen ungarischen Plattenspieler. Aus dem Kofferlautsprecher tönt die Musik. Schumann, eine Klaviersonate. Eli legt drei knallrote Riesentomaten auf den Tisch neben die Milchflasche und die weißen
Weitere Kostenlose Bücher