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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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abgemessen in ihren Rucksack.
Effort, and expectation, and desire
. Eli zeichnet mit der Schwurhand drei Kreuze über das Gepäck, so wie es Mama immer gemacht hatte, bevor sie ein frisches Brot anschnitt. Das walte Gott. Streben und Erwarten und Verlangen. Sie wirft einen bitteren Blick auf das Plüschsofa, den Platz, wo ihr Bett einstmals stand. Nun könnte sie losgehen.
    Aber der Großvater hat zwei Teller auf den Tisch gestellt.
    Er putzt die Pfifferlinge, schneidet Speck und Zwiebeln. Ein Gaskocher steht auf dem Kohleherd. Zwei Flammen. In der Pfanne brutzelt der Speck. Der Wasserkessel simmert. Anton krümelt Tee in die Kanne. Auf dem Vertiko ein Fotografenporträt von Eli, auf dem sie zu Antons heimlichem Stolz wie eine Diva aussieht, daneben die alten Boxaufnahmen. Eli würde gerne ein Foto mitnehmen, das von der Hochzeit, wo sie selbst mit drauf ist, schon drei Jahre alt, zwischen Mama und Papa. Das frische Paar und das Kind, zu dritt auf einem Bauernwagen. Der Bräutigam trägt Ausgehuniform der Infanterie, die Braut geht in Schwarz, schwarz, weil der Onkel draußen geblieben ist im Krieg. Eine Hochzeit im Trauerjahr, damit sollte endlich Ordnung geschaffen werden, um noch mehr Unheil zu verhindern.
    Das Kind sieht aus wie eine kleine Prinzessin, Lockenhaar, Seidengewölk, barfuß, die Beine schlenkern, der Blick geht hinunter zum Wagenrad, wo ein Huhn verwundert das Auge dreht. Es hat geblitzt. Aber wo bleibt der Donner?
    Zwei Tage später wird Abschied genommen. Viel Tränen. Großvater Anton, die Eltern, das Kind, wir fahren nach Dresden zum Überleben, denn die Kunststadt wird verschont. Alle anderen bleiben zurück im Dorf an der Katzbach. In unserer Heimat. Das Kind soll in Ruhe gelassen werden. Es hockt auf dem Kutschbock vom Leiterwagen, die Knie, die gefalteten Hände unter dem Kinn, verschlossen wie ein Ei. Die Kuh ist angespannt. Gleich dreht sich das Rad. Die armen Ohren müssen das Knirschen des Schicksals hören, die steinige Erde unter den Wagenrädern, das Knarren der Achsen. Die Fuhre schlenkert ins Nachbardorf. Dort ist der Bahnhof. Dort fährt der Zug nach Görlitz. Man hat Anschluss nach Dresden. Dresden Hauptbahnhof, das ist das Ziel. Zur Wohnung in der Altenzeller Straße ist es nur noch ein Sprung. Papa hat noch drei Tage Sonderurlaub, dann muss er zurück an die Front. Er schneidet sich das Foto zurecht, nicht größer als sein Wehrpass, und der steckt mit der Kennmarke aus Blech in der Brusttasche seiner Uniform.
    Mama lässt vom Negativ Abzüge machen. Einen stellt sie neben den vertrockneten Brautstrauß auf die Kredenz. Einen schenkt sie Anton, dem Schwiegervater. Der rückt das Hochzeitsbild der Kinder neben seins mit Emma. Lauter Staubfänger, sagt er. Aber hergeben will er das Foto nicht. Es ist das einzige Bild, was übriggeblieben ist. Man erkennt hinter dem Leiterwagen mit dem Kind und dem Brautpaar einen Misthaufen, weiter hinten das Strohdach, den Stall und die Kuh. Die Kuh steckt den Kopf aus der Obertür. Es ist Liese Numero drei.
    Anton wird auch heute das Foto nicht hergeben.
    Es ist besser, gar nicht erst am Thema zu rühren, besser, zu schweigen und auf das Essen zu warten, abzuwarten, ob er etwas sagt über den Kompostplatz, wo sie schlafen soll, oder ob er eine Frage hat, vielleicht zu den Briefen, die sie ihm geschrieben hat, ihren Berichten über das vergangene Jahr.
    Er klopft Eier über die Pilze. Salzt und pfeffert. Schneidet Brot.
    Wahrscheinlich wird es ein Pilzjahr, sagt er. Und nach einer Pause, ohne sich umzudrehen: Du solltest bei Vollmond bei dir dort oben mal gucken.
    Mach ich, sagt Eli. Sie atmet erleichtert auf, weil er damit rechnet, dass sie zum Essen und vielleicht über Nacht bleibt, aber dann wieder abhaut.
    Am besten sie stellt sich morgen früh vor die
Bergwirtschaft
oder gleich neben die Tankstelle an der Autobahnauffahrt. Dort halten viele Fahrer noch einmal an, bevor sie auf Strecke gehen. Erste Anhalterregel: Stehe dort, wo Autos sowieso anhalten wollen. Zweite Regel: Stehe allein. Dritte: Habe wenig Gepäck. Vierte: Verliere niemals die Hoffnung, denn der 31. nimmt dich mit. Streben und Erwarten und Verlangen. Wordsworth, 1770 bis 1850, sein Vers gilt immer.
    Eli schläft auf dem Sofa, sie polstert die Sitzfläche so hoch, dass die Armlehnen kaum mehr hinderlich sind beim Liegen und Verzeihen. Das Paradiesbett, die Spende für Bombengeschädigte, erfüllt einen anderen Zweck, Kopf- und Fußteil und der Federboden, endlich hat auch Anton

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