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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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Jammer über Jerusalem und selbstverständlich müssen sich unsere Nachfahren dereinst frei am Tempel und an der Moschee dort treffen können (oder keine Mühe und kein Leid hätte sich gelohnt) Juden Christen Muslime aber ich sage euch
    dass nichts stimmt wenn sich nicht auch agnostische alte Mediziner wie ich einfinden dürfen mit ihrer ganz privaten Nicht-Meinung ihrem profunden Unglauben und dem unbedingten Verlangen nach Kulturen und Zivilisationen die ihren Namen wirklich verdienen
    wie betäubt also fuhr ich nachhause in jenem Zug voll deprimierter Rückkehrer nach Bagdad die nicht hatten kämpfen dürfen und die Niederlage zu ahnen begannen bin ich aber endgültig Arzt geworden und ich habe kein einzelnes Schlüsselerlebnis dafür sondern der ganze quälende Zusammenhang der Rückfahrt muss für eine Art von Erklärung herhalten die Depression und der zu Boden fallende und sterbende alte Mann die Blicke aus den staubigen Zugfenstern auf die sich weiter und weiter drehende Welt und dann schließlich ein seltsames irgendwie absolutes aber eigentlich sinnloses Bild und vielleicht war es das vielleicht geriet ich allein deshalb in den unheilbar abgeklärten Zustand in dem ich mich heute noch befinde ich sah
    fünf weiße Störche über dem tintenblauen Euphrat
    eine Minute lang
    bewegungslos in der Luft
    wie eine perfekte andere Welt wie etwas
    das hier war und doch nie berührt werden würde etwas das auf eine gewisse Weise endgültig war ein Bild von
    Freiheit oder Liebe (oder vollkommener Harmonie? wie auf einer japanischen Tuschezeichnung vielleicht)
    auf das die Müdigkeit folgte die Niedergeschlagenheit und die Beschämung vor Farida
    wie soll ich also die Geschichte überschreiben sagen wir Die Störche des Hippokrates ?
    die während des Sechstagekriegs verkauften
    Radios
    schickten mich jedenfalls nach Paris
    denn mein Vater hatte ein Jahr zuvor mit seinem letzten Kapital fünf Elektrogeschäfte gekauft
    eine Nacht lang setzte ich mich vor eine stumme Reihe dieser elektrischen Wundertiere und starrte auf ihre polierten Holzgehäuse die Schleierwand vor dem Harem ihrer Lautsprecher die geriffelten Drehknöpfe an den Außenseiten die glasverkleideten Sendersuchleisten die elfenbeinfarbenen Klaviaturen zur Frequenzwahl ich senkte den Kopf und äugte durch die poröse Rückwand eines Geräts und schaltete es an als könnte über der glühenden Röhrenstadt in seinem Inneren etwas anderes aufsteigen als der Hass auf die Israelis und die vermeintlichen jüdischen Spione in der irakischen Regierung nämlich eine Antwort auf die Frage
    ob ich auch allein nach Frankreich gehen sollte
    denn wir hatten kaum unsere Koffer gepackt um als glücklich davongekommenes junges Paar ins Ausland zu fahren als Faridas Mutter schwer erkrankte
    Anfang August gingen wir ein letztes Mal am Tigris spazieren die Radios wüteten noch immer
    2 Millionen Israelis hatten 80 Millionen Araber besiegt (schrieb man im Westen als hätten wir mit Feldsteinen gekämpft und als wäre jeder Mann und jede Frau und jedes Kind dabei gewesen)
    es waren die französischen Jagdbomber die deutschen Panzer die amerikanischen Kanonen hörten wir bei uns und wir hörten Doris Day singen wie in jenem Hitchcockfilm den wir Jahre später zusammen in Paris sehen würden Que Sera von einem der Fischrestaurants her wir setzten uns ans Ufer wir waren nicht fähig klar zu denken oder zu fühlen Que Sera war kismet ein beinahe muslimisches Lied es brach ab kaum dass wir uns gesetzt hatten
    es ist keine Frage sagte Farida ich komme nach sobald es meiner Mutter bessergeht
    ich würde nach Paris gehen mit Hilfe der Radios
    ich ging und weil ich (der Jüngste) der Einzige war der studieren konnte noch dazu in Frankreich kam unter meinen Geschwistern jener durchaus nicht nur gut gemeinte Witz auf von meinem Freund Moschel zu reden dem ich das Auslandsstudium verdankte
    in Paris träumte ich
    neben Hussein in unserer Bude immer wieder vom israelischen Verteidigungsministerder eines meiner Augen verlangte als Provision bis Hussein mich heilte indem er Dutzende von Karikaturen zeichnete auf denen man mich und Mosche Dayan sah die letzte und aufwändigste auf einem großen Blatt auf dem ich den Kopf mit darübergeschlagenen Armen auf meinen Schreibtisch gelegt hatte umwimmelt von Dayans in der Größe von Mäusen Katzen Hunden allesamt mit Augenklappe einige flogen wie Fledermäuse um meinen Kopf oder saßen in kleinen Mirage- oder Mystère-Jagdbombern (ich kann solche

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