Septimus Heap 01 - Magyk
schier endlosen Zahl von Etagen und Türen, hinter denen eine wunderliche Gesellschaft von Zauberern wohnte. Aus den Räumen ertönten Zaubersprüche, die eingeübt, und Beschwörungsformeln, die heruntergeleiert wurden, dazu das allgemeine Geplauder von Zauberern beim Frühstück. Der Duft von Toast und Speck und Haferbrei vermischte sich befremdlich mit den Weihrauchwolken, die aus der Eingangshalle heraufstiegen, und als die Wendeltreppe sachte zum Stehen kam und Marcia ausstieg, schwindelte ihr der Kopf, und sie war froh, an die frische Luft zu kommen. Eilends schritt sie durch die Halle zu der massiven Silbertür, die den Eingang zum Zaubererturm versperrte. Sie sprach das Kennwort, die Tür schwang auf, und im nächsten Augenblick trat sie durch den silbernen Torbogen in die klirrende Kälte eines verschneiten Wintermorgens.
Auf der steilen Treppe setzte sie ihre Füße in den dünnen spitzen Schuhen vorsichtig in den knirschenden Schnee, und als sie unten ankam, erwischte sie den Wachposten dabei, wie er gelangweilt Schneebälle nach einer streunenden Katze warf. Ein Schneeball landete mit einem dumpfen Knall auf ihrem lila Seidenumhang.
»Lass das!«, herrschte Marcia ihn an und klopfte den Schnee ab.
Der Posten zuckte zusammen und stand stramm. Er sah zu Tode erschrocken aus. Marcia funkelte den elfenhaften Jungen an. Er trug die vorgeschriebene Wachuniform, eine ziemlich alberne, rotweiß gestreifte Jacke aus dünner Baumwolle mit lila Rüschen an den Ärmeln, dazu einen großen gelben Schlapphut, weiße Strumpfhosen und hellgelbe Stiefel, und in seiner unbehandschuhten linken Hand, die blau war vor Kälte, hielt er eine schwere Pike.
Marcia hatte beim Obersten Wächter protestiert, als die ersten Wachposten am Zaubererturm aufzogen. Besten Dank, hatte sie ihm mitgeteilt, aber Zauberer benötigten keine Aufpasser, sie könnten wunderbar auf sich selber aufpassen. Doch er hatte selbstgefällig gegrinst und ihr höflich versichert, dass die Wachen zu ihrer Sicherheit da seien. Marcia hegte den Verdacht, dass er sie nur aufgestellt hatte, um das Kommen und Gehen der Zauberer zu überwachen und sie obendrein zum Gespött der Leute zu machen.
Marcia sah sich den Schneeballwerfer genauer an. Der Hut war ihm viel zu groß. Er war nach unten gerutscht und saß auf den Ohren, die praktischerweise genau an der richtigen Stelle abstanden und so verhinderten, dass er ihm über die Augen herunterfiel. Der Hut verlieh seinem schmalen, verhärmten Gesicht eine ungesunde gelbliche Farbe. Seine dunkelgrauen Augen spähten verdattert darunter hervor, als er erkannte, wen sein Schneeball getroffen hatte.
Marcia fand ihn für einen Soldaten sehr klein.
»Wie alt bist du?«, fragte sie vorwurfsvoll.
Der Posten errötete. Noch nie hatte ihn jemand wie Marcia eines Blickes gewürdigt, geschweige denn angesprochen.
»Z-zehn, Madam.«
»Warum bist du dann nicht in der Schule?«, fragte sie.
Der Posten warf sich in die Brust. »Ich brauche keine Schule, Madam. Ich bin in der Jungarmee. Wir sind der Stolz von heute und die Krieger von morgen.«
»Ist dir nicht kalt?«, erkundigte sich Marcia unerwartet.
»N-nein. Wir lernen, nicht zu frieren.« Er hatte blaue Lippen und zitterte beim Sprechen.
»Hm!«, machte Marcia, wandte sich von dem Jungen ab, der noch vier Stunden Wache vor sich hatte, und stapfte durch den Schnee von dannen.
Marcia hastete über den Hof vor dem Zaubererturm und schlüpfte durch eine Seitenpforte, die auf einen ruhigen, schneebedeckten Fußpfad führte.
Auf den Tag genau vor zehn Jahren war sie Außergewöhnliche Zauberin geworden, und als sie jetzt dem Pfad folgte, reisten ihre Gedanken zurück in die Vergangenheit. Sie dachte an ihre Zeit als mittellose, viel versprechende junge Zauberin. Damals las sie alles, was sie über Zauberei finden konnte, und träumte davon, eines Tages beim Außergewöhnlichen Zauberer Alther Mella in die Lehre zu gehen, was nur sehr wenigen vergönnt war. Es waren glückliche Jahre. Sie wohnte in einem kleinen Zimmer in den Anwanden zwischen vielen anderen angehenden Zauberern, von denen sich die meisten mit einer Lehre bei einem Gewöhnlichen Zauberer begnügten. Marcia war anders. Sie wusste, was sie wollte, und sie wollte das Beste. Dennoch konnte sie ihr Glück kaum fassen, als sie die Chance bekam, Alther Mellas Lehrling zu werden. Eine Lehre bei ihm war zwar keine Garantie dafür, dass sie irgendwann selbst Außergewöhnliche Zauberin wurde. Doch es war ein
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