Septimus Heap 01 - Magyk
gesehen hatte, dann bei einem Tagesausflug ins Besucherzentrum des Zaubererturms, wo er sich womöglich den ganzen Tag im Hof herumgedrückt hatte, nur um einen Blick von ihr zu erhäschen. Dass sie aber mitten unter ihnen durch die Korridore auf der Nordseite spazierte, das war unglaublich.
Die Leute hielten den Atem an und wichen zur Seite, drückten sich in dunkle Türeingänge oder schlüpften in Seitengassen. Manche murmelten einfache Zaubersprüche vor sich hin. Andere erstarrten und blieben regungslos stehen wie ein Kaninchen in grellem Licht eines Scheinwerfers. Sie glotzten Marcia an, als sei sie von einem anderen Stern, und das hätte sie trotz aller Gemeinsamkeiten durchaus sein können.
Marcia nahm davon überhaupt keine Notiz. Nach zehn Jahren als Außergewöhnliche Zauberin war sie dem wirklichen Leben entrückt, und so schockiert sie auch beim ersten Mal auch gewesen sein mochte, mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, dass man ihr Platz machte, sich verbeugte und um sie herum ehrfürchtig tuschelte.
Marcia bog vom Hauptkorridor ab und eilte durch einen schmalen Gang, der zum Zimmer der Familie Heap führte. Unterwegs war ihr aufgefallen, dass die Gänge jetzt Nummern hatten, welche die ulkigen Namen von früher wie Windige Ecke oder Verkehrte Gasse ersetzten.
Früher lautete die Adresse der Heaps: große rote Tür, Hin-und-Zurück-Straße, in den Anwanden.
Jetzt lautete sie anscheinend: Raum 16, Korridor 223, Nordseite. Es war klar, welche Marcia besser gefiel.
Sie gelangte zur Tür der Heaps, die erst vor ein paar Tagen von der Malerpatrouille vorschriftsmäßig schwarz gestrichen worden war. Das laute, durch die Tür dringende Stimmengewirr verriet ihr, dass die Heaps beim Frühstück saßen. Sie holte ein paar Mal tief Luft.
Sie konnte den Augenblick nicht länger hinausschieben.
* 5 *
5. Bei den Heaps
» Ö f fne dich«, befahl Marcia der schwarzen Tür der Heaps. Da die Tür aber Silas Heap gehörte, tat sie nichts dergleichen. Im Gegenteil, Marcia glaubte zu sehen, wie sie die Angeln fester anzog und den Riegel verstärkte. Und so war sie gezwungen – sie, Madam Marcia Overstrand, die Außergewöhnliche Zauberin –, so laut sie nur konnte an die Tür zu pochen. Niemand öffnete. Sie versuchte es noch einmal, trommelte mit beiden Fäusten dagegen, doch noch immer öffnete niemand. Just in dem Augenblick, als sie erwog, der Tür einen kräftigen Fußtritt zu versetzen (und es ihr heimzuzahlen), wurde sie von innen geöffnet. Vor ihr stand Silas Heap.
»Ja?«, fragte er schroff, als sei sie nichts weiter als ein lästiger Vertreter.
Für einen kurzen Augenblick verschlug es Marcia die Sprache. Sie spähte an Silas vorbei in das Zimmer, das so aussah, als habe kürzlich eine Bombe eingeschlagen, und nun aus irgendeinem Grund von Jungen wimmelte. Die Jungen wuselten um ein kleines dunkelhaariges Mädchen herum, das an einem Tisch saß, den ein überraschend sauberes weißes Tischtuch bedeckte. Das Mädchen hielt ein kleines Geschenk in der Hand, das in leuchtend buntes Papier eingepackt und mit einem roten Band verschnürt war, und stieß lachend ein paar Jungen zurück, die so taten, als wollten sie danach schnappen. Doch nacheinander blickten das Mädchen und alle Jungen zur Tür, und im Zimmer der Heaps wurde es ungewohnt still.
»Guten Morgen, Silas Heap«, grüßte Marcia eine Spur zu huldvoll. »Und auch Ihnen einen guten Morgen, Sarah Heap. Und, äh, natürlich allen kleinen Heaps.«
Die kleinen Heaps, von denen die meisten ganz und gar nicht mehr klein waren, sagten nichts. Aber sechs hellgrüne Augenpaare und ein dunkelviolettes Augenpaar musterten Marcia Overstrand von Kopf bis Fuß. Marcia wurde unsicher. Hatte sie einen Fleck auf der Nase? Stand eine Haarsträhne lächerlich in die Höhe? Steckte ihr womöglich Spinat zwischen den Zähnen?
Marcia fiel ein, dass sie gar keinen Spinat zum Frühstück gegessen hatte. Mach schon, sagte sie sich. Du bist hier die Chefin. Also wandte sie sich an Silas, der sie so ansah, als hoffe er, dass sie bald wieder gehen würde.
»Ich sagte Guten Morgen, Silas Heap«, wiederholte sie gereizt.
»Das war ja nicht zu überhören, Marcia«, erwiderte Silas. »Und was führt dich nach all den Jahren hierher?«
Marcia kam gleich zur Sache. »Ich bin wegen der Prinzessin hier.«
»Was?«, fragte Silas.
»Du hast mich genau verstanden«, raunzte Marcia, die sich ungern an der Nase herumführen ließ, schon gar nicht von Silas
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