Septimus Heap 02 - Flyte
jemals haben wirst. Und wenn du nicht augenblicklich Platz machst, bekommst du sie zu spüren. Verstanden?« Simon deutete mit dem kleinen Finger seiner linken Hand auf Septimus. Jenna stockte der Atem. An dem Finger steckte ein klobiger Ring mit einem Umkehrsymbol darauf. Er kam ihr schrecklich bekannt vor.
Mit einem Ruck befreite Jenna ihren Kopf aus Simons Griff. »Was ist denn nur mit dir, Simon?«, schrie sie. »Du bist doch mein Bruder. Warum bist du so gemein?«
Simon packte sie mit der Linken an der Schärpe, und gleichzeitig verstärkte er den Griff der Rechten, die den Zügel hielt. »Damit das zwischen uns klar ist, Prinzessin«, knurrte er. »Ich bin nicht dein Bruder. Du bist nur ein unerwünschtes Kind, das mein leichtgläubiger Vater eines Abends mit nach Hause gebracht hat. Mehr nicht. Du hast uns nichts als Ärger gemacht, und du hast unsere Familie zerstört. Kapiert ?«
Jenna erbleichte. Sie war wie vor den Kopf geschlagen und blickte hilfesuchend zu Septimus. Er schaute kurz zu ihr auf. Ihre Blicke trafen sich, und in derselben Sekunde spürte Donner, dass er frei war. Seine Nüstern blähten sich vor Erregung, seine Muskeln spannten sich, und schon war er fort, galoppierte pfeilschnell zu der gepflasterten Straße, die zum Nordtor führte.
Septimus sah dem Pferd fassungslos nach, bis es verschwunden war. Ihm war ganz schwummrig im Kopf. Der Lähmzauber hatte ihn sehr angestrengt, denn das Pferd hatte sich die ganze Zeit heftig gewehrt – kein Vergleich zu dem Kaninchen, das er normalerweise zur Übung erstarren ließ. Aber er wusste, dass er noch eine letzte Chance hatte, Jenna zurückzuholen, und er schüttelte den Kopf, um die Benommenheit zu verscheuchen. Dann teleportierte er sich, noch ganz zittrig, mit einem Transportzauber zum Nordtor.
* 6 *
6. Am Nordtor
U n ten am Nordtor spielte Silas Heap mit Gringe, dem Torwächter, gerade eine Partie Burgenschach. Silas und Gringe hatten unlängst ihre jahrelange Fehde beigelegt. Als Simon, Silas Heaps ältester Sohn, versucht hatte, mit Gringes einziger Tochter Lucy durchzubrennen, um sie zu heiraten, waren beide Väter gleichermaßen empört gewesen. Gringe hatte Lucy sogar in der Mansarde oben im Torhaus eingesperrt, damit sie kein zweites Mal davonlaufen konnte. Er hatte sie erst wieder herausgelassen, als Silas einige Zeit später mit der Nachricht zu ihm kam, dass Simon mitten in der Nacht in die Marram-Marschen gepaddelt und seitdem spurlos verschwunden sei. Gringe wusste nämlich wie jeder andere, dass die Chancen, nachts in den Marschen zu überleben, äußerst gering waren.
Silas und Gringe hatten entdeckt, dass sie zwei Dinge gemeinsam hatten. Erstens die Sache mit Lucy und Simon – und dann ihre Leidenschaft für Burgenschach. Beide erinnerten sich gern, wie sie als Kinder Burgenschach gespielt hatten. Heute war das Spiel sehr selten geworden, aber früher hatte es sich in der Burg allergrößter Beliebtheit erfreut. Das Endspiel der Burgenschach-Meisterschaften war immer der Höhepunkt des Jahres gewesen.
Auf den ersten Blick war es ein einfaches Brettspiel, das mit Figuren gespielt wurde. Das Brett bestand aus zwei Burgen, die durch einen Fluss in der Mitte getrennt waren. Jeder Spieler bekam eine bestimmte Anzahl von Figuren unterschiedlicher Größe und Gestalt und musste versuchen, möglichst viele von ihnen über den Fluss und in die Burg des Gegners zu bringen. Doch der eigentliche Clou bei dem Spiel war: Die Figuren hatten ihren eigenen Kopf und, was noch wichtiger war, Füße, mit denen sie selbständig laufen konnten.
Dies war der Grund, warum das Spiel so beliebt, aber leider auch so selten geworden war. Die Charms, mit denen man den Figuren Leben eingehaucht hatte, waren bei der großen Feuersbrunst vor dreihundert Jahren verloren gegangen. Seit damals waren die meisten Burgenschachspiele unvollständig. Viele Figuren waren im Lauf der Jahre in die Welt hinausgezogen, um das Abenteuer zu suchen, oder hatten sich einfach nur nach einer interessanteren Burgenschachkiste umgetan. Niemand beschwerte sich, wenn er beim Öffnen seiner Kiste entdeckte, dass ein ganz neues Figurenvölkchen bei ihm eingezogen war. Groß hingegen war der Jammer, wenn ein Besitzer feststellte, dass ihm alle Figuren davongelaufen waren, weil sie sich bei ihm gelangweilt hatten. Wie auch immer, jedenfalls waren dreihundert Jahre später die meisten Figuren verschwunden: Manche waren versehentlich Abflüsse hinuntergespült oder zertreten
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