Septimus Heap 02 - Flyte
sah. Er quoll mit Höchstgeschwindigkeit aus seiner Höhle wie ein dicker, endloser Strom grauen Schlamms.
»Weiter, Donner, weiter!«, schrie Jenna gegen das Heulen des Windes an, während der Rappe vorwärts preschte und sie dem Ungetüm immer näher brachte. Immer noch glitt der Wurm aus der Höhle und so schnell die Felswand herunter, dass Jenna auf einmal Zweifel kamen, ob Donner es noch rechtzeitig schaffte, ehe der Wurm den Weg erreichte. Sie beugte sich weit nach vorn wie ein Jockey, um dem Wind möglichst wenig Widerstand zu bieten, und rief dem Pferd aufmunternd ins Ohr: »Los, Donner, los, mein Junge ... lauf!«
Und Donner lief, galoppierte jetzt mit aller Kraft, als hätte auch er begriffen, dass ihr Leben davon abhing. Als der Wurm dicht vor ihnen den Fuß der Felswand erreichte, spähte Jenna nach oben, um festzustellen, ob der Schwanz schon aus der Höhle war. Noch war nichts von ihm zu sehen, doch sie wusste, dass er jeden Augenblick hervorschießen konnte. Gerade als sie wieder nach vorn sah, erreichte der Kopf des Wurms den Weg.
»Vorwärts, Donner«, schrie sie, und dann, als der Wurm über den Pfad kroch und ihnen den Weg versperrte: » Spring, Donner!«
Donner sprang. Der kräftige Rappe schnellte in die Luft und flog über das graue Ungetüm, das sich unter ihnen wand, hinweg. Und in dem Moment, als er hinter dem Wurm landete und weitergaloppierte, schoss der Schwanz des Wurms aus der Höhle hervor und peitschte die Luft.
Jenna hörte ein Pfeifen und dann einen Knall, als die Schwanzspitze den Felsen hinter ihnen spaltete. Sie konnte nicht anders, sie musste sich einfach umdrehen und nachsehen. Der Schwanz hatte sie nur um einen knappen Meter verfehlt.
Die blassroten Augen des Wurms folgten der Beute den Pfad entlang, und der Schwanz holte abermals zum Hieb aus. Er wirbelte hoch durch die Luft wie ein Lasso. Doch als er zum zweiten Mal niedersauste, jagte Donner um eine Felsnase herum, und der Wurm verlor sie aus den Augen.
Bums! Etwas landete hinter Jenna.
Sie fuhr im Sattel herum, bereit, mit aller Macht gegen den Schwanz zu kämpfen, doch da war nichts. Alles was sie sah, war die steile Felsnase, die rasch im Dunkel hinter ihnen verschwand.
»Puh«, sagte eine dünne, leicht gereizte Stimme hinter ihr. »Das war vielleicht knapp ... Mir ist fast das Herz stehen geblieben ... also wirklich.«
»W... wer spricht da?«, fragte Jenna, der die fremde Stimme fast noch mehr Angst machte als der Landwurm.
»Ich bin’s ... Stanley. Erinnern Sie sich nicht an mich?« Die Stimme klang irgendwie gekränkt. Jenna spähte noch einmal in die Dunkelheit. Ja, da war etwas ... eine Ratte. Eine kleine braune Ratte lag bäuchlings auf dem Rücken des Pferdes und hielt sich verzweifelt am Sattel fest.
»Könnten wir ... einen Augenblick anhalten, da ... damit ich es mir bequemer machen kann?«, fragte die Ratte, die auf der Kruppe des galoppierenden Rappen hin und her geschleudert wurde. »Ich glaube, ich ... ich liege auf meinen Sandwichs.«
Jenna starrte die Ratte an.
»Nur ... nur eine Idee langsamer«, flehte die Ratte.
»Brr, Donner«, rief Jenna und zügelte das Pferd. »Langsamer, mein Junge.« Das Pferd fiel in Trab zurück.
»Danke, so ist es besser.« Ohne den Sattel loszulassen, hievte sich die Ratte in eine Sitzposition. »Ich bin keine geborene Pferderatte«, sagte Stanley, »obwohl Pferde vermutlich besser sind als Esel. Esel mag ich nicht. Ihre Besitzer auch nicht. Einer verrückter als der andere. Verstehen Sie mich nicht falsch – gegen Pferde habe ich nichts. Oder gegen ihre Besitzer. Die sind völlig normal. Jedenfalls die meisten, obwohl ich sagen muss, dass ich ein paar gekannt habe, die ...«
Plötzlich fiel Jenna wieder ein, wer die Ratte war. »Die Botenratte!«, rief sie. »Sie sind die Botenratte! Die wir vor Mad Jack und seinem Esel gerettet haben.«
»So ist es«, grinste die Ratte. »Bravo! Nur dass ich keine Botenratte mehr bin – ich hatte in den schlechten alten Tagen eine kleine Meinungsverschiedenheit mit der Rattenzentrale. Danach habe ich wochenlang in einem Käfig unter den Dielen gesteckt. Sehr unangenehm. Und gar nicht lustig. Bin aber gerettet worden und habe mich umschulen lassen ...« Die Ratte hielt inne und sah sich um, wie um sich zu vergewissern, dass niemand zuhörte. »... beim Rattengeheimdienst«, flüsterte sie.
»Beim was?«
Die Ratte tippte sich vielsagend an die Nase. »Streng geheim, wenn Sie verstehen, was ich meine. Je weniger man
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