Septimus Heap 03 - Physic
loszuwerden. »Zur Feier der gesunden Rückkehr meiner teuren Tochter, Prinzessin Esmeralda, die wir alle unglücklich ertrunken wähneten und die von ihrer lieben Mama tief betrauert und nun mit größter Freud und mütterlicher Zuneigung aufgenommen ward. Seit ihrer Rückkehr haben wir kein Aug voneinander lassen können, nicht wahr, mein Lieblingskind?« Königin Etheldredda trat ihr unter dem Tisch kräftig gegen das Schienbein.
»Autsch!«, stieß Jenna hervor.
»Nicht wahr , mein Lieblingskind?« Etheldredda durchbohrte Jenna mit ihrem Blick und zischte leise: »Antworte Nein, Mama , du kleine Närrin, sonst kannst du was erleben.«
Jenna, auf die jetzt alle Augen gerichtet waren, wagte es nicht, sich zu widersetzen. »Nein, Mama«, murmelte sie beleidigt.
»Wie war das, meine Teuerste?«, fragte Königin Etheldredda zuckersüß, aber mit eisigem Blick. »Was sagtest du?«
Jenna holte tief Luft und antwortete laut: »Nein, Mama. Denn dein Anblick ist... unvergesslich.« Und schon in der nächsten Sekunde bereute sie es, denn mit ihrem fremdartigen Akzent und ihrer komischen Art zu sprechen zog sie wieder alle Blicke auf sich. Doch Königin Etheldredda, die es sich angewöhnt hatte, nie hinzuhören, wenn Prinzessin Esmeralda etwas sagte, bemerkte anscheinend nichts. Es langweilte sie bereits, sich länger mit der verflixten Esmeralda zu beschäftigen, als sie es je zuvor getan hatte, und so erhob sie sich.
Unter lautem Stuhlrücken standen alle Gäste im Ballsaal auf und wandten die Blicke von der sonderbaren Esmeralda ab und ehrerbietig der vertrauteren Königin zu.
»Möge das Bankett beginnen!«, befahl die Königin.
»Möge das Bankett beginnen!«, erwiderten die Gäste und nahmen wieder Platz, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass die Königin bereits saß. Abermals erhob sich erwartungsfrohes Gemurmel.
Der Gedanke, sich mit Königin Etheldredda unterhalten zu müssen, hatte Jenna beunruhigt, doch ihre Sorge erwies sich als unbegründet, denn die Königin sah im weiteren Verlauf des Banketts kein einziges Mal in ihre Richtung. Stattdessen widmete sie ihre Aufmerksamkeit ganz dem dunkelhaarigen jungen Mann, der zu ihrer Linken saß. Der Mann trug nicht das königliche Rot, wie Jenna auffiel, sondern ein auffallendes rot-schwarzes Gewand, das mit beeindruckend viel Gold geschmückt war. Er warf Jenna immer wieder verstörte Blicke zu, wollte offenbar aber nichts sagen, weil Königin Etheldredda zwischen ihnen saß. Da Jenna sonst nichts zu tun hatte – denn Blasius Schmalzfass, der zu ihrer Rechten saß, folgte dem Beispiel der Königin und behandelte sie wie Luft –, lauschte sie der erbittert geführten Unterhaltung zwischen Etheldredda und dem jungen Mann, der die Königin, wie sie verwundert zur Kenntnis nahm, mit »Mama« anredete.
Ein Gong ertönte.
Erwartungsvolle Stille legte sich über die hungrige Schar der Gäste. Der Gong kündigte den ersten von fünfzehn Gängen an. Man leckte sich die Lippen, schüttelte seine Serviette aus und klemmte sie sich, fast wie ein Mann, unters Kinn. Die kleinen Türpagen öffneten die Flügeltür, und in zwei langen Reihen strömten Serviermädchen herein, von denen jedes zwei kleine Silberschalen trug. Einmal im Saal, verteilten sich die Mädchen auf die drei Tafeln. Wie eine graue Welle überschwemmten sie den Saal und stellten vor jeden Gast eine Schüssel hin. Die beiden letzten, die den Saal betraten, steuerten auf das Podium zu, und bald hatte auch Jenna eine kleine silberne Schale vor sich stehen.
Neugierig blickte sie in die Schale und hielt vor Schreck den Atem an. In einer dünnen braunen Brühe lag, noch so klein wie frisch aus dem Ei geschlüpft, ein junges Entlein. Es war gerupft und in Wein mariniert worden, und sein kleiner, nackter Körper war in sich zusammengesackt. Sein Kopf ruhte auf einem kleinen Rand, der aus der eigentümlichen Entleinschale hervorstand, und sah Jenna aus entsetzten Augen an. Es war noch am Leben. Es fehlte nicht viel, und Jenna hätte sich auf der Stelle übergeben.
Königin Etheldredda hingegen frohlockte beim Anblick ihres Entleins. Sie leckte sich die Lippen und gestand dem jungen Mann zu ihrer Linken, dass dies eine ihrer Leibspeisen sei – es gehe doch nichts über ein zartes Entlein, frisch mit heißer Orangensoße überbrüht.
Der Gong ertönte zum zweiten Mal, und diesmal kündigte er das Kommen einer langen Reihe von Jungen an, die Schüsseln mit kochend heißer Soße trugen. Jenna beobachtete,
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