Septimus Heap 03 - Physic
zu dringen.
»Keine Bange«, sagte er und kroch widerwillig aus dem behelfsmäßigen Bett. »Egal was es ist, ich seh’s mir an, bevor ich gehe. Wenn ich schnell renne, schaffe ich es vielleicht noch.«
»Danke, Sep«, sagte Jenna.
Kaum hatten die beiden Sarah Heaps Salon verlassen und die Tür hinter sich geschlossen, schwebte Königin Etheldredda von der Decke herab. Mit einem Ausdruck der Zufriedenheit auf ihren scharfen Zügen ließ sie sich auf dem Sofa nieder, griff zu dem kleinen Buch, das Sarah auf dem Tisch hatte liegen lassen, und begann, gleichermaßen angewidert wie fasziniert in Wahre Liebe lügt nie zu lesen.
Septimus und Jenna gingen unterdessen durch den Langgang, einen breiten Korridor, der den Palast wie ein Rückgrat durchzog. Er lag verlassen im fahlen Morgenlicht, denn das Palastpersonal war andernorts mit Vorbereitungen für den Tag beschäftigt, und die verschiedenen alten Geister, die ihn des Nachts bevölkerten, waren im Morgengrauen eingeschlafen. Einige lehnten an Türeingängen, andere schnarchten zufrieden in einem der mottenzerfressenen Sessel, die man für diejenigen, denen die Entfernung zu groß war, um sie in einem Rutsch zu bewältigen, im Langgang aufgestellt hatte.
Der abgetretene rote Teppich, der die alten Steinplatten bedeckte, erstreckte sich vor Jenna und Septimus wie ein breiter Weg, der kein Ende zu nehmen schien. Jedenfalls hatte Jenna immer dieses Gefühl, wenn sie hier war. Dabei war der Langgang heute interessanter als früher, seit nämlich ihr Vater, Milo Banda, alle möglichen merkwürdigen und fremdartigen Kostbarkeiten, die er aus den Fernlanden mitgebracht hatte, in den leeren Nischen aufgestellt hatte. Die Idee, den »Palast freundlicher zu gestalten«, wie er es nannte, hatte ihn sogar so begeistert, dass er bald wieder in See gestochen war, um noch mehr Schätze zu holen.
Vor einer Nische, die Jenna besonders unheimlich fand – Milo hatte dort Schrumpfköpfe von den Fidschi-Inseln in der Südsee aufgehängt –, blieb Septimus wie gebannt stehen.
»Komm weiter, Sep«, drängte Jenna. »Bleib nicht stehen, hier ist es wirklich gruselig.«
»Nicht die Köpfe sind gruselig, Jenna, sondern das Gemälde da. Ist das nicht die gute alte Etheldredda?«
Es war ein imposantes Bildnis in Lebensgröße. Etheldreddas scharf geschnittenes Gesicht blickte mit dem gewohnten Ausdruck, den der Künstler gut getroffen hatte, auf Jenna und Septimus herab. Die Königin posierte hochnäsig vor dem Hintergrund des Palastes.
Jenna lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Dad hat es in einem versiegelten Raum unterm Dach gefunden«, flüsterte sie, als könnte das Gemälde sie hören. »Er hat es hierhergebracht, weil es seinen neuen Burgenschachfiguren Angst macht, sagt er. Ich werde ihn bitten, es zurückzubringen.«
»Je früher, desto besser«, sagte Septimus. »Bevor es den Schrumpfköpfen Angst macht.«
Ein paar Minuten später standen Septimus und Jenna vor dem Königinnengemach im obersten Stockwerk des Turms ganz am Ende des Palastes. Eine hohe goldene Tür mit schönen smaragdgrünen Verzierungen glitzerte in den staubigen Strahlen der Morgensonne. Jenna löste einen smaragdbesetzten goldenen Schlüssel von dem Ledergürtel, den sie über ihrer goldenen Schärpe trug, und schob ihn vorsichtig in das Schlüsselloch, das sich mitten in der Tür befand.
Septimus stand daneben, aber er sah nur, wie Jenna den Schlüssel in eine völlig kahle und ziemlich rissige Wand steckte. Das überraschte ihn nicht, denn er wusste, dass die Tür zum Königinnengemach für ihn unsichtbar war. Nur wer von einer Königin abstammte, konnte sie sehen.
»Ich warte hier auf dich, Jenna«, sagte Septimus.
»Nein, Sep. Du kommst mit.«
»Aber ...«, protestierte Septimus.
Jenna sagte nichts. Sie drehte den Schlüssel um und sprang zur Seite, denn die Tür krachte wie eine Zugbrücke herunter. Dann nahm sie Septimus an der Hand und zog ihn zu der Wand, die für ihn extrem stabil und sehr hart aussah.
Er sträubte sich. »Jenna, du weißt doch, dass ich da nicht reingehen kann.«
»Doch, Sep, du kannst. Wenn ich dich mitnehme. Jetzt halte meine Hand fest und komm.« Sie zog ihn mit sich. Er sah sie in der Mauer verschwinden, bis nur noch ihre nach hinten gestreckte Hand, die seine festhielt, herausschaute. So etwas Merkwürdiges hatte er noch nie gesehen, und instinktiv wich er zurück. Er wollte sich nicht durch eine Wand ziehen lassen, nicht einmal von Jenna. Doch dann spürte
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