Septimus Heap 03 - Physic
Luke erschienen, kletterte er vollends hinab und wartete unten auf sie. Sobald sie von der letzten Stufe gesprungen war und ihre Füße den schönen Marmorboden berührten, flammten am Fuß der Treppe zwei große Kerzen auf.
»Wow!«, rief Septimus beeindruckt. »Hier ist es um einiges hübscher als oben.«
Das Ankleidezimmer der Königin war mehr als hübsch – es war prunkvoll. Es war größer als der Raum darüber, denn der Turm wurde nach unten hin breiter. Die Wände waren mit poliertem Blattgold verkleidet, das mit den Jahrhunderten zwar etwas stumpf geworden war, im Kerzenschein aber immer noch wunderbar glänzte. An der Wand gegenüber der Silbertreppe hing ein Spiegel in einem reich verzierten Goldrahmen. Er war alt und kaum noch zu gebrauchen, denn offenbar war ein Großteil der reflektierenden Silberschicht abgegangen. Das Glas war dunkel und zeigte nur ein verschwommenes Bild des Kerzenlichts.
Ringsum an den Wänden waren kunstvoll geschmiedete Silberhaken angebracht, von denen jeder eine andere Form hatte. Einer glich einem Schwanenhals, ein anderer einer Schlange, wieder ein anderer bildete die ineinander verschlungenen Initialen einer vor langer Zeit verstorbenen Königin und ihres Seelenfreunds. Manche Haken waren leer, an anderen hingen Kleider und Mäntel, die den wechselnden Modegeschmack in den vergangenen Jahrhunderten widerspiegelten, aber alle in den traditionellen Farben Gold und Rot gehalten waren, die von den Königinnen der Burg seit alters her getragen wurden. Was Jenna erstaunte – und Septimus gar nicht auffiel –, war, dass kein einziges Kleidungsstück staubig war. Alle sahen so neu und frisch aus, als seien sie eben erst von der Palastschneiderin genäht worden.
Entzückt, denn sie liebte kostbare Stoffe, wanderte Jenna im Raum umher, strich mit den Fingern über die Kleider und brach in begeisterte Rufe aus. »Wie weich das ist, Sep... oh, fühl doch mal, die Seide ist so zart... Und sieh dir den Pelzbesatz an, der ist noch schöner als der an Marcias Wintermantel, findest du nicht?« Sie nahm einen eleganten Wollumhang von einem mit Smaragden besetzten Silberhaken, der die Form eines »J« hatte, und legte ihn sich um die Schultern. Er war wunderschön, weich und fließend, und mit einem dunkelroten Pelz besetzt. Er passte ihr perfekt. Nicht gewillt, ihn wieder an seinen einsamen Haken zu hängen, schloss sie die goldene Schnalle und schlang ihn um sich. Er erinnerte sie an Lucy Gringes blauen Umhang, den sie vor nicht allzu langer Zeit getragen und dann einer sehr erstaunten Lucy ausgehändigt hatte.
»Schau, der passt wie angegossen. Wie für mich gemacht. Und sieh mal, Nickos Geschenk passt auch gut dazu.« Jenna hatte den Umhang zusätzlich mit ihrer goldenen Spange zugemacht, die ebenfalls wie ein »J« geformt war. Nicko hatte sie bei einem Händler in Port gekauft und ihr zum letzten Geburtstag geschenkt.
»Sehr hübsch, Jenna«, sagte Septimus, der sich für Kleidung nicht im Mindesten interessierte und die Atmosphäre im Ankleidezimmer ein wenig beklemmend fand. »Hör mal, wolltest du mir nicht etwas Wichtiges zeigen?«
Jenna wurde unsanft in die Realität zurückgeholt. Für eine Weile hatte sie die verflixte Königin Etheldredda doch tatsächlich vergessen. Sie deutete auf den dunklen Spiegel. »Das da, Sep. Du musst einen Blick in den Spiegel werfen. Das habe ich versprochen.«
Septimus blickte argwöhnisch. »Versprochen? Wem?«
»Königin Etheldredda«, antwortete Jenna kleinlaut. »Letzte Nacht. Sie hat mir draußen vor der Tür aufgelauert.«
»Ach so«, murmelte Septimus, »ich verstehe. Aber mit Spiegeln können seltsame Dinge geschehen, Jenna. Besonders mit alten. Ich glaube, ich sollte das lieber nicht tun.«
»Bitte, Sep«, flehte Jenna. »Bitte, schau hinein. Bitte.«
»Wozu?« Septimus sah Panik in ihrem Gesicht. »Jenna ... was hast du denn?«
»Denn wenn du es nicht tust, wird sie ...«
»Was wird sie?«
Jenna war kreidebleich. »Dann wird sie den Reklamier-Zauber rückgängig machen. Um Mitternacht. Und du wirst heute um Mitternacht ertrinken.«
* 11 *
11. Der Spiegel
S e ptimus trat vorsichtig vor den Spiegel, vermied es aber, hineinzusehen, und heftete seinen Blick stattdessen auf seine Stiefel. Er musste daran denken, wie Alther einmal in einen Spiegel geschaut und dabei ein Gespenst erblickt hatte, das ihn belauerte. »Woher will sie denn wissen, ob ich tatsächlich in den Spiegel geschaut habe oder nicht?«, fragte er.
»Keine
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