Septimus Heap 03 - Physic
Sein Kopf war im Spiegel verschwunden, als sei er in einen See von Tinte getaucht.
Jenna sprang die letzten Stufen hinab, und während sie über den Fußboden schlitterte, sah sie mit Grausen, wie Septimus’ Schultern im Spiegel verschwanden. Mit einem Satz war sie bei ihm, packte seine Füße und zog mit aller Kraft. Langsam, ganz langsam tauchte Septimus wieder aus dem Spiegel auf. Sie hielt ihn gepackt wie ein Hund seinen Knochen, fest entschlossen, ihn niemals, unter keinen Umständen, loszulassen. Zentimeter für Zentimeter kam sein Kopf zum Vorschein, als tauche er aus einem schwarzen Schlammloch in den Marram-Marschen auf. Er krümmte sich und schrie: »Pass auf, Jenna, dass er dich nicht erwischt!«
Jenna schaute nach oben und blickte in ein Gesicht, das sie ihr Leben lang nicht vergessen sollte. Es war das Gesicht eines alten Mannes, eines uralten Mannes, mit großer, langer Nase und tief liegenden, stechenden Augen, die sie verblüfft ansahen, als ob er sie kenne. Lange gelblich-weiße Haarsträhnen fielen über seine riesigen alten Ohren. Sein Mund, in dem nur noch drei große Zähne steckten, verzog sich zu einer breiten Grimasse, während er versuchte, Septimus von ihr wegzuziehen. Dann plötzlich, mit einer gewaltigen Anstrengung, gelang es ihm. Septimus flutschte durch den Spiegel, und Jenna blieb allein im Ankleidezimmer zurück. Fassungslos starrte sie auf das, was von Septimus geblieben war – seine alten braunen Stiefel, leer in ihren Händen.
Sie trat gegen den Spiegel, bis ihr die Zehen schmerzten, und brüllte ihn an, er solle Septimus herausrücken, bis sie heiser war. Dann rannte sie, die leeren Stiefel in der Hand, die Treppe hinauf in den Wandschrank für unbeständige Tränke und Spezialgifte. Oben angekommen, schlug sie die Falltür zu und öffnete die unterste Schublade unter den leeren Regalen. Sie vernahm das vertraute metallische Klicken, versuchte zu verschnaufen und wartete ungeduldig, bis sich etwas im Wandschrank veränderte und ihr der vertraute Geruch von gekochtem Kohl in die Nase stieg.
Sie stieß die Tür auf und trat hinaus in Tante Zeldas Hütte.
»He!«, rief eine Stimme erschrocken vom Kamin herüber. Ein Junge mit langen verfilzten Haaren und einem einfachen braunen Kittel, der von einem alten Ledergürtel zusammengehalten wurde, sprang vom Teppich auf. Als er Jenna erkannte, entspannten sich seine Züge: »Du schon wieder!«, rief Wolfsjunge. »Du hältst es wohl ohne uns nicht aus, was?« Und dann, als er ihr ernstes Gesicht bemerkte: »Was ist passiert?«
»Ach ... 409«, seufzte Jenna, die Wolfsjunge mit seiner alten Jungarmee-Nummer ansprach. »Wo ist Tante Zelda? Ich muss sofort mit Tante Zelda sprechen.«
Wolfsjunge ließ sein Tränkebuch für Leseanfänger nur allzu gern am Kamin liegen und kam zu ihr herüber. Er hatte nie richtig lesen gelernt, weil er vor seinem Lese- und Schreiblehrer in der Jungarmee furchtbare Angst gehabt hatte. Und wie sehr er sich auch bemühte und wie viel Geduld Tante Zelda auch mit ihm hatte, es war ihm immer noch ein Rätsel, wie sich Buchstaben zu Wörtern fügten oder eben auch nicht. »Sie ist nicht da«, sagte er zu Jenna. »Sie ist draußen und sammelt Marschkräuter und solche Sachen. He, sind das nicht die Stiefel von 412?«
Jenna nickte unglücklich. Sie hatte darauf vertraut, dass Tante Zelda wusste, was zu tun war, aber jetzt ... Mit einem Mal erschöpft, lehnte sie sich gegen die Schranktür.
»Kann ich dir helfen?«, fragte Wolfsjunge und sah sie aus seinen dunkelbraunen Augen besorgt an.
»Ich weiß nicht ...« Jenna hätte fast losgeheult, riss sich dann aber zusammen. Sie musste jetzt Ruhe bewahren. Sie musste überlegen, was nun zu tun war. Sie musste.
»412 ist in Schwierigkeiten, habe ich recht?«, fragte Wolfsjunge.
Wieder nickte Jenna, traute sich aber nicht, etwas zu sagen. Wolfsjunge legte ihr den Arm um die Schultern. »Dann sollten wir ihm da heraushelfen ... richtig?«
Jenna nickte.
»Ich komme mit dir. Aber vorher muss ich Tante Zelda eine Nachricht hinterlassen, damit sie weiß, wo wir sind.« Er rannte hinüber zum Schreibtisch, der mit den vier Entenfüßen und zwei Armen, mit denen ihn Marcia Overstrand ausgestattet hatte, etwas lächerlich aussah. Tante Zelda fand diese Extras abscheulich, aber Wolfsjunge hatte gelernt, sie zu seinem Vorteil zu nutzen.
»Bitte ein Blatt Papier«, bat er die beiden Arme, die daraufhin mit ihren recht ungeschickten Händen in der Schublade wühlten, ein
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