Septimus Heap 03 - Physic
meinen armen Schwestern ergehen?
Tyrstag
Ein gar trostloser Tag. Mein Gemüt ist bedrückt. Noch immer keine Kunde von meinen Schwesterlein, und von Mary fehlet jede Spur. Ich bin ganz allein auf der Welt.
Wodanstag
Ich kenn mich heut selbst nicht wieder. Meine Seelist in Aufruhr. Ich bin wieder von einem grausen Tag in der Fleischküche zurückgekehret, und irgendwas ist nicht geheuer. Ich weiß nicht, was. Ich habe große Angst.
Donarstag
Im Morgengrauen hat Sir Hereward meinen lieben Bruder geholet. Letzte Nacht hört ich immerzu lautes Weinen und Wimmern hinter der Wandtäfelung. Es waren die Stimmen meiner kleinen Schwestern. Es tut nichts, was mein Bruder und Sir Hereward sagen. Ich kenne doch das Weinen meiner Schwestern. Ich flehte meinen Bruder an, die Täfelung zu entfernen, und da er um meinen Verstand fürchtete, tat er den Gefallen mir. Da war nichts, doch selbst jetzo höre ich, wie ihre dünnen Stimmen nach mir rufen und flehn, sie zu hefrein.
Freiastag
Mein Bruder kam. Ich soll ein Weilchen bei ihm wohnen. Ich bin dankbar, denn ich ertrag das Weinen nimmermehr. Mama wollt es zuerst nicht zugeben, aber er hat sich durchgesetzt. Heut Nachmittag zieh ich um, und mein klein Buch nehm ich mit.
Lohstag
Heut hat Mama meinen lieben Bruder aufgesuchet, denn sie haben etwas zu besprechen. Mein Bruder hat in dieser Sach ein unbehaglich Gefühl, denn er hat zu mir gesaget: »Ich werd’s nicht tun, Esmeralda. Ich wünsche Mama alles Gute, wie sich’s für einen Sohn gehöret, doch wünsch ich nicht, dass sie ewig lebet.« Obwohl ich nicht verstand, was er damit gemeint – denn wie könnt ein Mensch ewig leben? –, antwortete ich, dass ich das gewisslich auch nicht wünschte, und wir lachten. Es ist schön, mit seinem Bruder zu lachen.
Sonnentag
Mama ist heut wieder kommen. Mein Bruder verschloss sein Zimmer und sprach zu mir: »Fort mir dir, Esmeralda, denn diese Sach ist nichts für deine Ohren.« Doch statt meinem lieben Bruder zu gehorchen, tat ich das Gegenteil. Ich lauschte an der Tür, und ich musste mein Ohr nicht dicht anpressen, denn Mamas Stimme hat sich durch die dicke Eiche in mein Ohr gebohret wie der Schnabel eines Spechts. »Lass dir das gesagt sein, Marcellus, ich werd nicht eher Ruh geben, als bis ich es hab!«, schrie Mama. Ich hörte keine Antwort meines Bruders, denn Mamas Redefluss wollt kein End nicht nehmen.
Als sie ging, biss das Geschöpf, das alle beißt, die ihr missfallen, sodass sie krank werden und sterben, meine kleine Katz. Heute Abend liegt die arme Mieze darnieder und maunzt gar jämmerlich.
Mondtag
In den Gemächern meines Bruders ist es arg dunkel und düster, denn ein wüster Sturm heult durch die Burg, aber mich kümmert das nicht, denn es spiegelt mein Gemüt. Mein armes Kätzlein ist nicht mehr.
Mama ist wieder da gewest. Als sie mit ihrem Gefolge, das aus Blasius Schmalzfass und sechs bewaffneten Wächtern hat bestanden, wieder entschwunden war, kam mein lieber Bruder zu mir und berichtete mir, was vorgefallen. Mein Bruder hat meiner Mutter einen Trank versprechen müssen, der ewige Jugend verleihet. Sie wird ewig leben. Ich erhob Einspruch und wollt von ihm wissen, auf welch gefährlich Ding er sich hat eingelassen. Ich WÜNSCHE NICHT, dass Mama ewig lebt, denn ich möcht dermalen einst selber Königin werden, aber wie soll ich Königin werden, wenn Mama nicht stirbt, wie wir alle es müssen? Und mein lieber Bruder hat grimmig gelächelt und gesaget, dass er wohl einen Trank habe, aber nicht für sie, haha! Er sey für ihn, und er habe vor Monaten schon davon trunken.
Tyrstag
Warum kann ich keinen Trank bekommen, der ewige Jugend versprechet? Das ist nicht gerecht. Ich werd am schlechtesten behandelt.
Wodanstag
Mein Bruder hat seit heut einen neuen Lehrling. Obwohl er ein einnehmend Gesicht hat, ist er doch ein sehr sonderbarer Junge. Als er mich sah, lachte er und rief einen seltsam Namen, der mir nicht bekannt. Ich richtete sehr freundlich das Wort an ihn, obwohl er nur ein gewöhnlicher Lehrling ist, doch als ich es tat, lief er weg. Mein Bruder ist noch sehr in Sorge. Er sagt immerzu: »Ich hab mich selbst in der Zukunftgesehen. Hab mein schröckliches Schicksal gesehen. Oh, Esmeralda, ich bin ein Narr. Ich wollt nicht warten. Was hab ich nur getan?« Aber ich weiß nicht, was er hat getan, denn er will’s mir nicht sagen.
Freiastag
Ein unheilvoller Tag. Mama ist heut bei mir gewest. Ich darf nicht länger bei meinem lieben Bruder
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