Septimus Heap 03 - Physic
wohnen, denn sie sagt: »Er hat eine wichtig Aufgab zu erfüllen, Esmeralda, und mit deinem Gejammer lenkst du ihn von der Arbeit ab.« Ich bettelte, bleiben zu dürfen, doch vergebens. Jetzo sitz ich wieder in meinem trostlosen Zimmer. Mama sendet mir morgen in aller Früh Blasius Schmalzfass. Ich fürchte mich sehr.
Hier endete das Tagebuch. Jenna klappte langsam den Deckel zu, rutschte auf die Bettkante und versuchte, das Gelesene zu verdauen. Was war mit Esmeralda geschehen? Und da alle nun sie für Esmeralda hielten: Was sollte mit ihr geschehen?
* 35 *
35. Ritter
A m Spätnachmittag saß Jenna, eingewickelt in eine klamme Tagesdecke, auf der klumpigen Matratze von Esmeraldas Bett. Neben ihr standen die Reste einer Mahlzeit, bestehend aus einer großen Pastete, knusprigem Brot, Käse, Äpfeln, Kuchen und Milch, die der Ritter des Tages wie versprochen den Koch hatte bringen lassen. Sie hatte die kleine Kerze neben dem Bett entzündet, und während sie dasaß und sich über der kleinen Flamme die Hände wärmte, hörte sie ein leises Klopfen an der Holztäfelung des Zimmers. Das Klopfen wurde lauter, dann wieder leiser, klang mal aufgeregt, mal kraftlos und verzweifelt. Jenna sträubten sich die Nackenhaare: Das waren die kleinen Prinzessinnen, und sie waren noch am Leben.
Jenna wusste, dass sie es nicht tun sollte, aber sie konnte einfach nicht anders und legte dort, wo das Klopfen herkam, das Ohr an die Täfelung. Zu ihrem Entsetzen vernahm sie ein schwaches Schniefen und die Schluckgeräusche eines erschöpften Schluchzens – eines Kinderschluchzens. Das war zu viel. Sie rannte zur Tür, trommelte mit den Fäusten dagegen und rief: »Sir Hereward! Sir Hereward! Sie sind hier. Ich kann sie hören – wir müssen sie befreien. Oh, Sir Hereward, bitte holen Sie Hilfe!«
Zu ihrer Überraschung kam der Geist durch die Schlafzimmertür geschwebt. Es gab nicht viele Menschen, für die Sir Hereward eine Tür passierte, aber manchmal musste es sein. Jetzt stand er neben Jenna und schüttelte den Kopf, um das unangenehme Gefühl loszuwerden, er sei voller Holz.
»Prinzessin«, sagte er, stützte sich auf sein Schwert und sah Jenna verdutzt an, »verzeihet meine Konfusion, aber meinem armen Hirn möcht scheinen, dass Ihr gewisslich eine königlich Prinzessin seid, doch nicht die arme Esmeralda, obgleich die Ähnlichkeit verblüffend ist.«
Jenna nickte. Sie wusste, dass sie Sir Hereward vertrauen konnte, aber sie bezweifelte, dass er verstand, was sie ihm jetzt sagen würde. »Ich bin Prinzessin Jenna«, flüsterte sie, nur für den Fall, dass jemand lauschte. »Ich komme aus einer Zeit in der Zukunft ...« Sie hielt inne, da sie nicht wusste, ob Sir Hereward verstand, was sie meinte.
Der alte Ritter war schneller von Begriff, als sie erwartet hatte. »Ach so, dann stammet Eure Art zu sprechen aus einer Zeit, die erst noch kömmt«, überlegte Sir Hereward. »Sie klinget freilich sonderbar, so geschwind und scharf fürs Ohr wie das Rasseln eines Vogelschnabels an den Gitterstäben seines Käfigs. In Eurem Palast muss ein gar arger Krach herrschen, Prinzessin Jenna.«
Jenna wollte gerade erwidern, dass ihr Palast ruhig und leer sei im Vergleich zu diesem hier, als das Klopfen in der Wand wieder einsetzte. »Da ... da ist es wieder«, flüsterte sie.
»Das sind die armen kleinen Prinzessinnen, Prinzessin Jenna«, seufzte Sir Hereward traurig.
»Aber wir müssen sie herausholen, bevor sie ersticken«, sagte Jenna, enttäuscht, weil Sir Hereward nichts unternahm.
»Sie sind bereits ersticket«, murmelte Sir Hereward und senkte den Blick auf seine rostigen Füße.
»Aber...«
»Was Ihr da höret, Prinzessin, sind Ihre ruhelosen Geister, die selbigen, die auch die arme Esmeralda hat gehöret. Hätt ich das wahre Wesen unserer Königin geahnt, hätt ich die Mädchen vielleicht retten können.«
»Aber sie waren doch ihre Töchter«, sagte Jenna. »Wie konnte sie nur ...«
»Mich dünkt, grad derowegen hat sie es getan«, sagte Sir Hereward ernst, »eben weil sie ihre Töchter waren. Mir ist da etwas Merkwürdiges zu Ohren kommen ... doch wage ich nicht zu glauben, dass es die Wahrheit ist.« Der Geist schüttelte den Kopf, wie um den Gedanken abzuschütteln.
»Was?«, fragte Jenna. »Was glauben Sie nicht?« Und dann begriff sie, dass ihre Ausdrucksweise dem Ritter unhöflich vorkommen musste, und so setzte sie ein wenig verlegen hinzu: »Ich bitt Euch, Sir Hereward, sagt mir, wenn es Euch beliebt, was
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