Septimus Heap 03 - Physic
Schatten und ergriffen die beiden Wächter. Bevor diese wussten, wie ihnen geschah, wurden sie im Polizeigriff abgeführt, in den Palastkeller gebracht und ins Verließ geworfen, ein feuchtes, schmutziges Loch unter der Innereienküche, in das unentwegt ranziges Fett und überlaufendes Spülwasser tropfte.
Ohne die seltsam beruhigende Gegenwart von Will und John fühlte sich Jenna plötzlich sehr einsam. Die Gegenwart einer Königin Etheldredda aus Fleisch und Blut war auf eine Weise Furcht einflößend, wie es ihr Geist nicht gewesen war. Und das Geschöpf mit dem schlangenartigen Schwanz, das an ihrem Rockzipfel hing und Jenna mit boshaften roten Augen anstarrte und dabei den einziehbaren Zahn in seinem spitzen Maul vor- und zurückschnappen ließ, weckte in ihr nur den Wunsch, auf den Hacken kehrtzumachen und davonzulaufen. Aber es gab kein Entrinnen. Jenna spürte den fleischigen Atem des Ritters des Tages in ihrem Nacken.
»Und Ihr«, sagte die Königin an die Adresse des nervösen Ritters, »Ihr bringet Esmeralda in ihr Gemach und sperret sie dort ein bis morgen Abend. Auf dass sie lernet, ihrer Mama fürderhin nimmer wegzulaufen.«
Der Ritter des Tages verbeugte sich vor der Königin, dann nahm er Jenna sanft am Arm und murmelte: »Gestattet, Prinzessin, dass ich Euch in Euer Gemach bringe. Ich will den Koch anweisen, Euch ordentlich mit Speis und Trank zu versorgen.« Jenna hatte keine Wahl, und so ließ sie sich vom Ritter des Tages durch den Korridor geleiten und auf dem vertrauten Weg in ihr Zimmer bringen.
Der Geist Sir Herewards lehnte an der Wand und stierte sichtlich gelangweilt und lustlos ins Leere. Bei Jennas Erscheinen machte er ein verwundertes Gesicht. Er nahm Haltung an, verneigte sich ehrerbietig und sagte mit einem breiten Lächeln: »Willkommen zu Hause, Esmeralda. Welch hocherfreuliche Wendung, denn wir fürchteten, Ihr wäret ertrunken. Freilich sehet Ihr blass und erschöpfet aus, daher etwas zu Eurer Aufheiterung. Was, bitte schön, ist der Unterschied zwischen einem Greif und einem Granatapfel?«
»Ich weiß es nicht, Sir Hereward«, sagte Jenna lächelnd. »Und was ist der Unterschied zwischen einem Greif und einem Granatapfel?«
»Meiner Treu, Euch würd ich nimmer zum Einkaufen schicken. Hahaha!«
»Oh, ich verstehe. Sehr lustig, Sir Hereward.«
Sir Hereward musterte Jenna genauer, als der Ritter des Tages sie ins Zimmer führte. »Ihr seyd verändert, Esmeralda«, sagte er. »Und Ihr redet gänzlich anders. Das ist ohn Zweifel der Schock. Ruht Euch aus, Prinzessin. Ich werd vor Schaden Euch bewahren. Eure Mama wird nicht eintreten.« Der Geist verbeugte sich, der Ritter des Tages schloss die Tür, und Jenna fand sich allein in ihrem Zimmer wieder – oder vielmehr im Zimmer der ertrunkenen Esmeralda.
Das Zimmer Prinzessin Esmeraldas war irgendwie gruselig. Nicht nur, dass es darin kalt und feucht war und dass in verschiedenen Ecken haarige grüne Flecken sprossen, es hatte auch noch etwas Bedrückendes, ja sogar Bösartiges. Jenna wanderte darin umher. Für das Schlafgemach einer Prinzessin war es erstaunlich schäbig. Der Fußboden bestand aus nackten Dielen, aus denen Holzsplitter hervorstanden. Die Vorhänge waren fadenscheinig und reichten nicht einmal bis zur Unterkante der hohen Fenster. Große Gipsbrocken waren aus der Decke gebrochen. Es gab nur eine kleine Kerze neben dem Bett, und selbstverständlich brannte kein Feuer im Kamin.
Jenna zitterte – und nicht nur wegen der Kälte in dem muffigen Raum. Sie setzte sich auf das Bett und stellte fest, dass es sich überhaupt nicht wie ihr eigenes Bett anfühlte. Doch sie achtete nicht weiter darauf, denn sie war in Gedanken jetzt ganz bei Septimus. Wie sollte sie ihn finden? Irgendwie war sie davon ausgegangen, dass er sie auf der anderen Seite des Spiegels erwarten würde, nun aber sah sie ein, wie töricht das von ihr gewesen war. Sie war in einer ganz anderen Welt, und Septimus konnte überall sein. Er konnte sogar älter sein, so viel älter, dass sie ihn womöglich gar nicht erkannte. Vielleicht war er sogar ... tot. Sie schüttelte den Kopf, um diese sinnlosen Gedanken zu verscheuchen. Alther hatte sich ziemlich klar ausgedrückt – der Spiegel, durch den sie gesprungen war, war hundertsechsundneunzig Tage nach dem Spiegel fertiggestellt worden, durch den Septimus gezerrt worden war. Hundertneunundsechzig, also dreizehn mal dreizehn, war in der Alchimie eine wichtige Zahl. Jenna war gut in Mathematik, und im Nu
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