Septimus Heap 04 - Queste
gedacht, dass ich so etwas ...«
Septimus sah Jenna an, und seine grünen Augen blickten ernst. »Alles andere ist ein Luxus, Jenna«, sagte er.
»Was meinst du damit?«
Septimus starrte in den aufgewühlten und blutbefleckten Schnee zu seinen Füßen. Er brauchte eine Weile, ehe er antworten konnte. »Ich meine ...«, begann er langsam. »Ich meine, man kann von Glück sagen, wenn man im Leben niemals in eine Situation gerät, in der man einem anderen das Leben nehmen muss, damit man selbst weiterleben kann. Das wollte ich damit sagen.«
»Das ist furchtbar, Sep.«
Septimus zuckte mit den Schultern. »Manchmal ist es eben so. Das habe ich bei der Jungarmee gelernt. Entweder landet der Oberkadett in der Wolverinengrube oder du.«
Jenna schüttelte ganz langsam den Kopf, noch immer fassungslos über ihre Tat.
»Jenna, sieh mal. Vielleicht heitert dich das etwas auf«, sagte er leise und hielt ihr die kleine schwarze Lakritzschlange hin.
»Oh.«
»Sie steckte am kleinen Finger seiner linken Hand. Es war das Gespenst, Jenna. Es war ein Kampf auf Leben und Tod: das Gespenst oder wir. Wir hatten keine andere Wahl – und das weißt du.«
»Aber es war auch der Mautner«, sagte sie.
»Ja, ich weiß.«
Septimus erhob sich und trat an den Rand des Abgrunds. Er ging so weit vor, wie er sich traute, dann murmelte er einen Abwehrzauber, zerbröselte den Lakritzring zwischen den Fingern und ließ die Krümel in die Tiefe fallen.
Hinter ihm ertönte ein leises Stöhnen. Jenna sprang auf. »Beetle!«
»Oooh ... wo bin ich?«, kam stöhnend als Antwort.
Es bedurfte einiger Überredungskunst, ehe sich Beetle dazu bewegen ließ, in das Baumhaus des Mautners hinaufzuklettern, obwohl stufenartige Kerben in die Rinde der Eiche gehauen waren. Septimus schob, und Jenna zog, und irgendwie schafften sie es bis zu dem windschiefen Verschlag aus Brettern und Fellen, der auf einer Plattform zwischen den beiden Hauptästen errichtet war. Vor dem Eingang hing die Haut eines großen, rötlichen Tiers mit gewaltigen gekrümmten Klauen, die klapperten, als Jenna die Türklappe vorsichtig anhob. Aus dem Baumhaus drang ein muffiger – und merkwürdig vertrauter – Geruch. Sie spähten hinein, doch im Innern war es stockdunkel. Zu erkennen war nur, dass auch der Fußboden mit Fellen ausgelegt war.
Mit einer letzten Kraftanstrengung zogen und schoben Jenna und Septimus den benommenen – und ziemlich schweren – Beetle in das Baumhaus, und krochen dann selbst hinterher.
Es war schon jemand drin.
* 42 *
42. Wieder vereint
E i n Gesicht, halb Ratte, halb Mensch, leuchtete unheimlich im gelben Licht von Septimus’ Drachenring. Jenna unterdrückte einen Schrei.
Ephaniah Grebes Körper lehnte in der gegenüberliegenden Ecke des Baumhauses, an eben der Stelle, wo das Gespenst ihn verlassen hatte, um in den gelenkigeren Körper des Mautners zu fahren. Sein Kopf hing nach vorn wie bei einer kaputten Puppe, und seine weißen Gewänder sahen aus wie ein Haufen schmutziger Laken, die darauf warteten, gewaschen zu werden. Jenna sah auf den ersten Blick, dass Ephaniah nicht bewohnt war – der Unterschied zum letzten Mal, als sie ihn gesehen hatte, war unverkennbar. Diesmal war er es wirklich – sie empfand nicht den geringsten Abscheu, spürte keine Fremdheit und nichts von dem Gefühl der Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit, das der bewohnte Ephaniah bei ihr hervorgerufen hatte. Und sie sah, dass an seinem kleinen Finger kein Ring steckte. Sie eilte zu dem Rattenmann und nahm seine Hand. Sie war kalt.
»Oh, Sep, kannst du etwas ... hören?«, flüsterte sie.
Septimus wusste, was sie meinte. Er lauschte auf das Geräusch eines menschlichen Herzschlags. »Ich glaube nicht«, antwortete er und fügte, als er die Bestürzung in Jennas Gesicht sah, eilends hinzu: »Aber das will nichts heißen. Ich höre nur Beetles Herzschlag, langsam und gleichmäßig, und deinen, und der ist ziemlich laut.«
»Oh«, sagte Jenna überrascht. »Entschuldige. Und was ist mit deinem?«
»Den eigenen kann man nicht hören«, antwortete Septimus. Er überlegte kurz. »Wir versuchen es mit der alten Methode.«
Er kniete neben Ephaniah nieder und zog seine Rettungsdose aus der Tasche. Die Dose war vollgestopft mit Dingen, deren Nutzen Jenna schleierhaft war. Er fischte einen kleinen runden Spiegel heraus und hielt ihn dicht unter Ephaniahs leicht geöffneten Mund, aus dem zwei lange, schmale Zähne hervorstanden. Ein leichter Beschlag erschien auf dem Glas.
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