Septimus Heap 04 - Queste
Zum Dankbaren Steinbutt gab sich Merrin nicht die geringste Mühe. Olaf Snorrelssen wartete schon seit Stunden darauf, dass Merrin endlich aufstand, und musste sich die ganze Zeit von der Kesselflickerin beschimpfen lassen. Kurz nach zehn kam der Junge endlich die Treppe herunter, nachdem ihn die Wirtin, die ihr Zimmer wiederhaben wollte, aus dem Bett gejagt hatte.
Eingedenk seines Versprechens, das er mittlerweile bitter bereute, erschien Olaf dem Jungen. »Soll ich dich nun zur Burg bringen?«, fragte er in der Hoffnung, dass der Junge ablehnen würde. Doch der tat ihm nicht den Gefallen.
»Ja«, knurrte Merrin. »Nur raus aus dieser Bruchbude.«
Olaf führte Merrin über die Einwegbrücke, und das vertraute Gefühl der Niedergeschlagenheit, das er bei jedem Gang über die Brücke empfand, legte sich auf ihn wie eine Wolke. Und diese Wolke verzog sich auch nicht, als er mit dem Jungen die Zugbrücke überquerte. Er schlichtete den Streit, den der Junge mit dem Torwächter anzettelte, der ebenfall schlecht gelaunt war und überdies ziemlich schlecht roch. Dann schlug er die Richtung zu den Anwanden ein, einem Gebäude wie ein riesiges Labyrinth, für das er eine besondere Vorliebe hatte. Auf dem Weg durch die schmalen Gänge, die teilweise von Menschen wimmelten, wurde er das seltsame Gefühl nicht los, dass sie verfolgt wurden. Doch jedes Mal, wenn er sich umblickte, sah er nur flüchtige Schatten, wie sie in den gewundenen, halbdunklen Korridoren nicht ungewöhnlich waren. Entschlossen, sein Wort zu halten, führte er Merrin tief ins Innere der Anwanden zu einer kleinen Pension, an die er schöne Erinnerungen knüpfte, weil er selbst vor vielen Jahren dort abgestiegen war.
Das, so sagte sich Olaf später, war ein Fehler. Merrin gefiel die Pension nicht. Sie sei eine widerliche Bruchbude, sagte er. Und als er hörte, was ein Zimmer kostete, nannte er die Wirtin, die eine freundliche Frau war, eine habgierige alte Schrulle. Darauf beschloss Olaf, der Frau zu erscheinen und sich zu entschuldigen, doch auch das war ein Fehler. Er war nervös und machte alles verkehrt. Beim Anblick seiner plötzlich und nur unvollständig erscheinenden Geistergestalt stieß die Frau einen gellenden Schrei aus und schlug die Tür zu. Die Tür passierte seinen Fuß, und davon wurde ihm ganz übel. Als er sich wieder erholt hatte, war Merrin verschwunden. Erleichtert ging Olaf davon, ohne zu merken, dass er für jeden nur halb zu sehen war und dadurch ein Chaos verursachte. Als er am Ende des Tages wieder unbeschadet in der Schenke Zum Loch in der Mauer , einem beliebten Treffpunkt für Geister, saß, nahm er sich fest vor, nie wieder einem Lebenden zu erscheinen. Es war ein Wahnsinn.
Stanley trippelte eine der vielen Hintertreppen des Palastes hinauf. Er war noch nie im Obergeschoss gewesen, doch als Ex-Botenratte kannte er den Grundriss in- und auswendig – für seine Eignungsprüfung hatte er ihn sich genau einprägen müssen. Er schlug einen Bogen um den alten Geist des Ritters, der Wache stand – und der mit seinem Schwert nach ihm hieb –, flitzte den Bildteppich neben einer großen Flügeltür hinauf, kroch oberhalb der Wandtäfelung durch ein Rattenloch, das voller Spinnweben hing, und lugte auf der anderen Seite nach unten. Es ging tief hinunter. Er verharrte einen Moment und nahm seinen Mut zusammen. Weit unter ihm, am Kamin, saß Jenna Heap, Prinzessin und Thronerbin der Burg. Neben ihr lag ein zerknitterter Brief. Stanley konnte ihn aus dieser Entfernung nicht lesen, aber Jenna kannte seinen Inhalt bereits auswendig. Er lautete:
Aus dem Zaubererturm zugestellt von B. Catchpole
Abgegeben im Palast: 7.30 Uhr
Absender:
Septimus Heap, Lehrling der Außergewöhnlichen Zauberin Marcia Overstrand
Liebe Jenna,
können wir uns heute Mittag bei Marcellus treffen? Ich habe eben eine Nachricht von ihm erhalten! Eine richtig gute! Ich glaube, er hat sich endlich an ein paar Dinge erinnert. Er hat etwas von Nicko, das er uns geigen möchte, und er sagt, es bestehe vielleicht doch die Möglichkeit, dass Nicko zurückkommt!!!! Bis später.
Dein
Septimus xxxx
Jenna war so aufgeregt, dass sie kaum stillsitzen, geschweige denn bis Mittag warten konnte. Nach einem weiteren betrüblichen Frühstück mit Sarah Heap war sie auf ihr Zimmer geflüchtet und versuchte nun, die Stunden des Wartens sinnvoll zu füllen. Nicht ahnend, dass sie von einer mit sich ringenden Ratte beobachtet wurde, las sie in einem dicken Buch.
Weit über ihr
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