Septimus Heap 04 - Queste
die Tür zu öffnen. »Sie haben doch erlaubt, dass ich sie herbringe, wissen Sie noch? Sie sagten, Sie seien bereit, uns zu erzählen, was geschehen ist. Mit Nicko.«
Marcellus blickte verwirrt. »Mit Nicko?«, fragte er.
Septimus seufzte innerlich. Seit nunmehr sechs Monaten versuchte er, Marcellus dazu zu bringen, ihm zu sagen, was er über Nicko wusste, und vor wenigen Tagen hatte er sich endlich dazu bereit erklärt. Doch allem Anschein nach hatte er es vergessen – wieder einmal. Septimus konnte sich nur schwer daran gewöhnen, dass Marcellus Pye wie ein junger Mann aussah, sich häufig aber wie ein Greis verhielt. Im Lauf der Jahrhunderte hatte er Gewohnheiten angenommen, die schwer wieder abzulegen waren. So fiel er immer wieder in einen schlurfenden Gang oder nörgelte wie ein alter Mann. Doch die größte Sorge bereitete Septimus das schlechte Gedächtnis des Alchimisten. Gereizt hatte er Marcellus vorgeworfen, er sei nur zu faul, sich etwas zu merken. Doch der hatte ihm entgegengehalten, dass in seinem Kopf Erinnerungen aus fünfhundert Jahren gespeichert seien. Wo, bitte schön, sollte er den Platz für all die neuen hernehmen?
Septimus seufzte. Er ließ den unschlüssigen Marcellus in der Diele stehen, ging zur Tür und öffnete.
»Sep!«, rief Jenna und klang erleichtert. Sie stand vom Wind zerzaust und fröstelnd vor der Tür. Sie war fest in ihren dicken roten Wintermantel gewickelt, und das dunkle Haar hing ihr in nassen Strähnen ums Gesicht. »Du hast dir aber Zeit gelassen«, sagte sie und stampfte, weil sie kalte Füße hatte. »Es ist scheußlich hier draußen. Willst du mich nicht reinlassen?«
»Die Parole, wenn ich bitten darf«, erwiderte Septimus, plötzlich ernst.
Jenna runzelte die Stirn. »Was für eine Parole?«
»Kennst du sie etwa nicht?«
»Nein. Oh, Mist. Kannst du mich nicht trotzdem reinlassen?«
»Hmm ... Ich weiß nicht recht.«
»Sep, ich erfriere hier draußen. Bitte.«
»Na schön. Weil du es bist.«
Er trat beiseite. Jenna stürmte herein und schüttelte die Regentropfen von ihrem Mantel. Plötzlich hielt sie inne und musterte Septimus argwöhnisch. »Es gibt gar keine Parole, stimmt’s?«
»Ne«, grinste Septimus.
»Du gemeiner Kerl!«, lachte Jenna und gab ihm einen Stoß. »Oh, guten Tag, Beetle. Schön, dich zu sehen.«
Beetle bekam einen roten Kopf, und nicht zum ersten Mal stellte er fest, dass er plötzlich das Sprechen verlernt hatte, aber Jenna schien es nicht zu bemerken. Sie war damit beschäftigt, eine kleine rote Katze unter ihrem Mantel hervorzuziehen und sich unter den Arm zu klemmen. Beetle war überrascht. Er hätte nicht gedacht, dass Jenna eine Katze hatte. Dann sagte Marcellus aus einem ihm unerfindlichen Grund: »Willkommen, Esmeralda.«
»Vielen Dank, Marcellus«, erwiderte Jenna und musste schmunzeln. Sie hatte fast schon vergessen, dass sie in Marcellus Pyes Zeit immerzu mit Prinzessin Esmeralda verwechselt worden war.
Dann machte Marcellus eine altmodische Verbeugung und sagte: »Prinzessin, Lehrling, Schreiber – bitte, mir zu folgen.«
Einen Augenblick später stieg Beetle hinter den anderen die Treppe hinauf, und während er im Zickzack tropfende Kerzen umkurvte, fragte er sich, in was er da hineingeraten war. Und wie er das alles Miss Djinn erklären sollte, wenn sie dahinterkam, denn das tat sie immer.
* 15 *
15. In der Dachkammer
M a rcellus führte sie in eine kleine Dachkammer mit Schrägen und Holztäfelungen an den Wänden. Die einzigen Möbel waren ein alter, auf Böcke gestellter Tisch mit zwei Bänken und ein paar Stühle, die sich an den Wänden reihten und die der frühere Besitzer, Weasal Van Klampff, zurückgelassen hatte. In der Mitte des Tisches leuchtete ein ganzer Strauß von Kerzen, die, von der Haushälterin am Morgen entzündet, schon halb heruntergebrannt waren.
Als Septimus hinter Marcellus die Kammer betrat, durchzuckte ihn die Erinnerung wie ein Blitz – vor gar nicht langer Zeit war das sein Zimmer gewesen. Und doch lag diese Zeit, wie er wusste, so weit zurück, dass es unmöglich schien. Hier, in diesem Zimmer, hatte er die ersten Nächte in Marcellus Pyes Zeit verbracht, und ein Alchimieschreiber hatte vor der Tür geschlafen, um ihn an der Flucht zu hindern. Hier hatte er alle möglichen verrückten Pläne geschmiedet, die ihn in seine Zeit zurücbringen sollten, hier hatte er stundenlang am Fenster gesessen, auf die Straße geblickt und sehnsüchtig nach einem vertrauten Gesicht
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