Septimus Heap 05 - Syren
aufschürfend, an den rauen Backsteinen entlang nach oben, dem Licht entgegen. Lucy streckte ihm von oben die Hände entgegen, doch er konnte sie nicht erreichen. Sosehr er sich auch bemühte, er kam nicht vom Fleck.
Aus dem Kohlenkeller schrillte Lindas wütende Stimme: »Hinterhältiger kleiner Rotzlöffel! Ich kann dich sehen. Glaub ja nicht, dass du damit durchkommst, du ... du Grimtöter!«
Als Nächstes hörte er ein Plätschern. Linda watete hastig durch den Keller. Wolfsjunge überlegte verzweifelt. Er war jetzt eine Wolverine, die in einer Höhle gefangen war. Der Besitzer der Höhle, ein Nachtwaldgeschöpf, war unter ihm aufgewacht. Er musste sofort ans Tageslicht. Sofort. Und dann plötzlich lagen Lucys Hände in seinen, zogen ihn nach oben, zum Licht, zerrten ihn aus der Höhle, während die Nachtkreatur nach seinen Hacken schnappte, ihm die Stiefel von den Füßen zog – und aufjaulte, als die Krötenspucke in ihren Händen brannte.
Wolfsjunge lag in der Spätnachmittagssonne auf dem Straßenpflaster und versuchte, die dunklen Wolverinengedanken abzuschütteln. Aber Lucy ließ ihn nicht.
»Was liegst du da herum, du Dummkopf«, zischte sie. »Sie werden jede Sekunde hier sein. Los, weiter.«
Widerstandslos ließ er sich auf die Beine ziehen und rannte barfuß hinter ihr die Straße hinunter. Er glaubte, hinter sich zu hören, wie die Hexenhaustür aufgeschlossen und entriegelt wurde, und spürte die Blicke der Dunkelkröte in seinem Rücken.
Alle Hexen bis auf Linda waren aus der Tür, noch bevor Lucy und Wolfsjunge um die Ecke gebogen waren. Dorinda hing etwas zurück, da sie befürchtete, ihr Handtuchturban könnte sich lockern. Die Übrigen nahmen die Verfolgung auf, aber die Hexenmutter kam nicht weiter als bis zur Eingangstreppe des Nachbarhauses und gab dann auf. Ihre Stiefel taugten nicht für eine heiße Verfolgungsjagd. Somit blieben nur Daphne und Veronica übrig, die in ihrem sehr eigenwilligen Laufstil – Knie zusammen, Füße nach außen – über das Pflaster klapperten. Es war kein sehr raumgreifender Stil, und Dorinda erkannte sofort, dass sie Wolfsjunge und Lucy niemals einholen würden. Dies hätte ihr auch weiter nichts ausgemacht, hätte sie beim Anblick der beiden Hand in Hand Flüchtenden nicht plötzlich rasende Eifersucht empfunden. Und so machte sie kehrt, um im Keller nach Linda zu sehen.
Genau in diesem Augenblick kam Linda aus der Tür geschossen, buchstäblich wie ein Blitz. Die Hexen des Porter Zirkels ritten nicht mehr auf Besen – Besenreiten war völlig aus der Mode –, sondern auf Blitzbrettern, und Linda war darin besonders gut. Ein Blitzbrett war ein einfaches, aber gefährliches Gerät. Man brauchte dazu nichts weiter als eine kleine Holzplatte und einen Schockblitz, der langsam seine Energie freisetzte. Der Schockblitz wurde vor das Brett gespannt, auf dem der Reiter, so gut es ging, das Gleichgewicht hielt. Dann aktivierte der Reiter den Schockblitz im Vertrauen darauf, dass ihm das Glück hold war und niemand ihm in die Quere kam.
Linda kam normalerweise niemand in die Quere, wenn sie mit dem Blitzbrett unterwegs war. Voller Bewunderung sahen Dorinda und die Hexenmutter zu, wie sie jetzt auf ihrem Brett (das eigentlich die Deckplatte von Dorindas Frisierkommode war) die vordere Straße hinunterflitzte, eine Gruppe älterer Damen auseinanderscheuchte und mit der tosenden Flamme, die unter dem Brett hervorschoss, den Handkarren der Zeitungsausträgerin vom Porter Tagesanzeiger in Brand setzte. Im Nu überholte sie Daphne und Veronica, die gerade mädchenhaft um die Ecke trippelten. Vor lauter Schreck purzelten die beiden die Kellertreppe des hiesigen Fischhändlers hinunter. Irgendwann tauchten sie wieder auf, über und über mit Fischinnereien bedeckt.
Zu Lindas Verdruss war von Lucy und Wolfsjunge nichts zu sehen, aber davon ließ sie sich nicht entmutigen. Linda war Expertin im Aufspüren entflohener Gefangener. Nach einer von ihr entwickelten narrensicheren Methode begann sie, das Gewirr von Straßen, die zum Hafen hinunterführten, systematisch zu durchkämmen. Auf diese Weise konnte sie sicher sein, dass sie die Beute immer vor sich hatte. Es war, so fand sie, wie wenn man Schafe in einen Pferch trieb – Schafe, die bald darauf Bekanntschaft mit Pfefferminzsoße und Bratkartoffeln machen sollten. Die Methode war todsicher.
* 11 *
11. Im Hafen
W ä hrend Wolfsjunge Lucy vor dem Grim zu retten versuchte, befolgte Simon an diesem Nachmittag
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