Septimus Heap 05 - Syren
Maureens Rat. Er hockte auf einem Polier am Kai und blickte bedrückt über den Hafenplatz.
Der breite gepflasterte Platz war auf drei Seiten von hohen Wohnhäusern umgeben, zwischen die ein paar Geschäfte gequetscht waren. Neben der allseits beliebten Pastetenbäckerei gab es noch einen kleinen schmuddeligen Laden für Künstlerbedarf, eine winzige Buchhandlung, die sich auf Schriften über die Seefahrt spezialisiert hatte, und Honest Joes Marineladen. Der Marineladen nahm das Erdgeschoss der drei Häuser ein, die an den stattlichen roten Backsteinbau der Hafenmeisterei angrenzten. Allerlei Taue, Rollen, Winden, Netze, Bootshaken, Spieren und Segel quollen aus seinen offenen Türen und ergossen sich auf den Hafenplatz. Der Hafenmeister lag in ständigem Streit mit Honest Joe, denn die Waren des Krämers nahmen häufig auch seine imposante säulenbewehrte Eingangstreppe in Beschlag.
Wie ein aufmerksamer Theaterzuschauer verfolgte Simon das Kommen und Gehen auf dem Kai. Er sah, wie der Hafenmeister – ein beleibter Mann in einem Marinerock mit reichlich Goldtressen – aus seinem Haus auftauchte, vorsichtig über drei Taurollen stieg, die sauber aufgereiht vor seiner Türschwelle lagen, und in den Marineladen marschierte. Eine Schar schnatternder Kinder in Zweierreihen kam vorbei und strebte, die Schulhefte in den Händen, dem kleinen Museum im Zollhaus zu. Der Hafenmeister erschien, das Gesicht etwas geröteter als vorhin, wieder aus dem Marineladen und stapfte zurück in sein Haus, wobei er mit dem Fuß eine Taurolle beiseitestieß und die Tür hinter sich zuknallte. Ein paar Minuten später kam Honest Joe ins Freie getrippelt. Er rollte das Tau wieder zusammen, setzte es auf seinen Platz vor der Tür zurück und legte sicherheitshalber noch ein paar Bootshaken dazu. Dies alles beobachtete Simon mit unverwandtem Blick, während er darauf wartete, dass Lucy den Platz überquerte, was sie früher oder später auch tun musste.
Von Zeit zu Zeit, wenn es ruhig wurde, warf er einen verstohlenen Blick zu dem kleinen Fenster ganz oben im Zollhaus, dessen Fassade mit Stuck verziert war. Das Fenster gehörte zu dem Mansardenzimmer, das Lucy und er ein paar Tage zuvor gemietet hatten, nachdem sie die Burg überstürzter hatten verlassen müssen, als ihnen lieb gewesen war.
Simon fand das Zimmer nicht übel. Lucy war richtig aufgeregt gewesen, als sie es sich angesehen hatten, und hatte davon gesprochen, die Wände rosa mit breiten grünen Streifen zu streichen (wovon Simon nicht so überzeugt gewesen war) und ein paar passende Flickenteppiche zu machen. Sie hatten das Zimmer sofort genommen, und als Lucy gesagt hatte, sie wolle auf den Markt gehen, um sich »diesen lustigen Stand mit den Stoffen und all den Bändern anzusehen«, hatte Simon ein Gesicht geschnitten, und Lucy hatte gelacht. »Ja«, hatte sie gesagt, »du würdest dich nur langweilen, Simon. Es wird nicht lange dauern. Bis nachher!« Sie hatte ihm einen Kuss zugeworfen und war vergnügt davongeflitzt.
Nein, dachte Simon, Lucy war nicht beleidigt gewesen. Wäre sie es gewesen, hätte er nicht gut gelaunt und unbekümmert dem alten Buchladen in der Krummen Fischbauchgasse einen Besuch abgestattet, um nachzusehen, ob es dort besitzenswerte Zauberbücher gab. Er hatte Glück gehabt und ein altes, stark verschimmeltes Buch gefunden, dessen Seiten zusammengeklebt waren. Eine verdächtige Ausbuchtung hatte ihm verraten, dass zwischen den Seiten noch ein paar Charms steckten.
Er war so damit beschäftigt gewesen, die Charms zu entnehmen und die Freuden des Buchs zu entdecken, das sich tatsächlich als guter Kauf entpuppte, dass er irgendwann verwundert feststellte, dass es bereits dunkel wurde und Lucy noch nicht zurück war. Er wusste, dass die Marktstände eine Stunde vor Sonnenuntergang schlossen, und sein erster Gedanke war, dass sie sich wohl verirrt hatte. Aber dann war ihm eingefallen, dass sich Lucy in Port viel besser auskannte als er selbst – sie hatte sechs Monate lang hier gewohnt und bei Maureen im Pastetenladen gearbeitet –, und er hatte begonnen, sich Sorgen zu machen.
Simon hatte keine angenehme Nacht hinter sich. Er hatte sie damit zugebracht, die dunklen und gefährlichen Straßen von Port abzusuchen. Dabei war er von zwei Taschendieben ausgeraubt und von der berüchtigten Einundzwanziger-Bande verfolgt worden – einer Gruppe von Jugendlichen, in der Hauptsache ehemalige Angehörige der Jungarmee, die jetzt in Lagerhaus Nummer 21 hausten.
Weitere Kostenlose Bücher