Septimus Heap 05 - Syren
Im Morgengrauen war er verzweifelt in das leere Mansardenzimmer zurückgekehrt. Lucy war verschwunden.
In den folgenden Tagen hatte er unablässig nach ihr gesucht. Er hatte den Porter Hexenzirkel verdächtigt und laut an die Tür der Hexen geklopft, aber niemand hatte geöffnet. Er war sogar auf die Rückseite des Hauses geschlichen, aber dort war alles ruhig. Er wartete den ganzen Tag vor dem Haus und lauschte. Aber er hörte nichts. Das Haus wirkte wie ausgestorben, und so war er irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass er nur seine Zeit verschwendete.
Am Morgen, als er im Pastetenladen mit Maureen gesprochen hatte, war er zu der Überzeugung gelangt, dass Lucy mit einem anderen durchgebrannt war. Er konnte es ihr nicht verübeln – was hatte er ihr schon zu bieten? Er würde niemals Zauberer werden, und sie würden für immer aus der Burg verbannt bleiben. Früher oder später hatte sie einen anderen finden müssen, einen, auf den sie stolz sein konnte, den sie mit nach Hause bringen und ihren Eltern vorstellen konnte. Er hätte nur nicht erwartet, dass es so schnell geschehen würde.
Der Nachmittag schritt voran, und Simon rührte sich nicht von seinem Poller. Der Hafenplatz belebte sich. Eine Schar von Beamten in marineblauen Porter Uniformen mit unterschiedlich üppigem Goldbesatz überschwemmte den Platz wie eine Flutwelle. Sie umkurvten die tückischen Bootshaken und Taue und strömten zur alljährlichen Hafenversammlung in die Hafenmeisterei. Zurück blieb der übliche Porter Bodensatz – Seeleute und Verkäuferinnen, Fischer und Bauern, Mütter, Kinder, Hafenarbeiter und gemeine Matrosen. Manche hetzten vorbei, andere schlenderten, bummelten oder trödelten, manche nickten Simon zu, aber die meisten beachteten ihn nicht – und Lucy Gringe war nicht darunter.
Reglos wie eine Statue hockte Simon da. Die Flut setzte ein, kroch langsam an der Kaimauer herauf und brachte die Fischerboote mit, die später, bei Hochwasser, auslaufen sollten und jetzt seeklar gemacht wurden. Mürrisch glotzte Simon alle an, die den Kai überquerten, und als sich der Platz in der Ruhepause vor dem abendlichen Rummel leerte, glotzte er stattdessen die Fischerboote und ihre Besatzungen an.
Simon fiel nicht auf, dass er den Fischern unheimlich war. Er hatte noch immer etwas Grüblerisches, und seine grünen Zaubereraugen hatten einen durchdringenden Blick, der die abergläubischen Fischer verstörte. Auch durch seine Kleidung unterschied er sich von normalen Porter Bürgern. Er trug ein altes Gewand, das einst seinem alten Meister DomDaniel gehört hatte, als der Schwarzkünstler noch jünger und erheblich schlanker war als in späteren Jahren. Simon hatte es in einer Truhe entdeckt und recht elegant gefunden. Er war sich nicht bewusst, welche Wirkung die aufgestickten schwarzmagischen Symbole auf die Leute hatten, auch wenn sie schwer zu erkennen waren, da der Stoff zu einem matten Grau verblasst war und die Symbole selbst sich auszufransen begannen.
Die meisten Fischer scheuten sich, Simon anzusprechen, aber einer, der Skipper des nächsten Bootes, eines großen schwarzen Kahns namens Plünderer, trat auf ihn zu und knurrte: »Wir wollen hier keine Leute wie dich haben, die uns beim Fischen Unglück bringen. Hau ab.«
Simon schaute zu dem Skipper auf. Das wettergegerbte Gesicht des Mannes kam ihm unbehaglich nah. Sein Atem roch nach Fisch, und seine schwarzen Knopfaugen blickten drohend. Simon stand auf. Der Skipper funkelte ihn streitlustig an, und seine kurzen grauen Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab, als seien sie persönlich beleidigt worden. Ein tätowierter Papagei prangte an seinem drahtigen Hals, und direkt darüber pochte eine dicke Ader, sodass es aussah, als lache der Vogel. Simon stand nicht der Sinn nach einer Rauferei. Mit einer gewissen Würde schlang er sich den zerlumpten Umhang um den Leib, schritt gemächlich zum Zollhaus, stieg schwerfällig die Treppen zum Mansardenzimmer hinauf und nahm am Fenster seinen Beobachtungsposten wieder auf.
Das Fenster ging auf den Platz hinaus, auf dem jetzt die kurze Ruhe zwischen der Geschäftigkeit des Tages und dem Trubel des Porter Nachtlebens eingekehrt war. Nur auf der Plünderer gab es etwas zu sehen. Simon beobachtete, wie der Skipper seine Mannschaft – einen etwa vierzehnjährigen Jungen und einen hageren Mann mit kahl geschorenem Schädel und finsterem Gesicht – anbrüllte und dann in Honest Joes Laden schickte. Eine große spindeldürre Frau mit
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