Septimus Heap - Fyre
nicht zu wecken, die auf einem Kissen neben dem Kamin schlief. In diesem Augenblick fegte ein Windstoß vereisten Schnee vom Hüttendach. Wie Hagel prasselte er gegen die dicken grünen Fensterscheiben und ließ Jenna zusammenzucken. Jetzt hatte sie genug vom Alleinsein und beschloss, sich auf die Suche nach Tante Zelda und Wolfsjunge zu machen.
Die eisige Kälte traf sie wie ein Schock, als sie vor die Tür trat. Sie hatte ganz vergessen, dass es in den Marram-Marschen immer viel kälter war als in der Burg, besonders bei Ostwind. Heute blies ein kräftiger Ostwind, der Schwaden feiner Eiskörner über die Schneefläche wirbelte und ihr bis ins Mark drang.
Sie folgte dem frei geschippten Pfad bis zu der Bohlenbrücke, die den zugefrorenen Mott – den breiten Kanal, der Tante Zeldas Hütte ringförmig umschloss – überspannte. Dort angekommen, blieb sie stehen, beschirmte ihre Augen mit der Hand, da der Schnee sie blendete, und suchte die Umgebung ab. Keine Spur von Tante Zelda und Wolfsjunge, nur eine weite weiße Fläche, die vor ihren Augen verschwamm. Sie drehte sich um und blickte zurück zu der kleinen Steinhütte. Zwischen den hohen Schneehaufen, die bis zu ihrer niedrigen Dachtraufe reichten, sah sie aus wie ein Iglu. Der warme Schein des Kaminfeuers drang durchs Fenster, und am liebsten wäre Jenna wieder hineingegangen, doch sie verbot es sich streng. Je früher sie Tante Zelda fand, desto eher konnte sie wieder beim Drachenboot sein.
Jenna wusste, dass auf der Dracheninsel – so hieß die Insel, auf der Tante Zeldas Hütte stand – alle Wege über kurz oder lang zu einem Kohlbeet führten. Und wenn Tante Zelda irgendwo zu finden war, dann an einem Kohlbeet. Jenna wandte sich nach rechts, damit sie den schneidenden Wind im Rücken hatte, und ging den Pfad neben dem Mott entlang.
Sie hatte ganz vergessen, wie gern sie hier draußen in den Marschen war. Sie liebte den Himmel, der kein Ende zu nehmen schien und über den der Wind die Wolken peitschte, und sie liebte das aufregende Gefühl, nur von wilder Natur umgeben zu sein, doch am meisten liebte sie die Stille. Im Sommer war noch das Glucksen und Gluckern der unsichtbaren Marschbewohner zu hören. Doch im Winter verkrochen sich alle Geschöpfe tief im kalten Schlamm und hielten einen langen, tiefen Schlaf. Dann wurde es still in den Marschen. Und noch stiller, wenn mit der großen Kälte der Schnee kam. Jenna genoss diese sanfte, vollkommene Stille in vollen Zügen. Sie schritt langsam aus, setzte vorsichtig ihre Stiefel in den Schnee, damit er unter ihren Sohlen nicht knirschte, und raffte ihren Mantel, damit er nicht raschelnd über den Schnee strich.
So war es kein Wunder, dass Jenna, als es hinter ihr plötzlich einen dumpfen Schlag tat, vor Schreck fast in den gefrorenen Mott gefallen wäre. Sie wirbelte herum und stieß einen spitzen Schrei aus. Vor ihr auf dem Weg stand, wie vom Himmel gefallen, Septimus. Er wankte leicht und war in eine seltsame, lila schimmernde Wolke gehüllt.
»Sep!«, rief Jenna. »Was … ich meine … wo kommst du … wie hast du das gemacht?«
Septimus bewegte den Mund, aber kein Laut erklang. Erst als die letzten magischen Schwaden sich verzogen hatten, konnte Jenna hören, was er sagte.
»… war sehr knapp, Jenna. Tut mir wirklich leid. Ich habe nicht damit gerechnet, dass jemand hier draußen ist – und dich habe ich schon gar nicht erwartet. Was machst du hier?«
»Was ich hier mache?«, Jenna lachte. »Bloß einen Spaziergang. Ziemlich langweilige Sache. Immer einen Fuß vor den anderen setzen. Unsereinertaucht nicht plötzlich wie aus dem Nichts auf, von Kopf bis Fuß von flackernden lila Lichtern umgeben.«
»Das ist mein Beruf, Jenna«, entgegnete Septimus grinsend.
»War das eines von diesen Transport-Dingern?«, fragte Jenna.
Septimus blickte sie ein wenig selbstgefällig an. »Ja, das war eines von diesen Transport-Dingern.«
»Den ganzen Weg von der Burg hierher?« Jenna klang beeindruckt.
»Ja. Nicht schlecht, was?« Froh, endlich mal wieder in der Sonne zu sein – und etwas Interessantes zu tun –, hakte sich Septimus bei Jenna unter und schlug mit ihr den Weg zur Hütte ein.
»Falls du zu Tante Zelda willst, die ist nicht da«, sagte Jenna. »Ich bin herausgekommen, um sie zu suchen.«
»Klar will ich zu Tante Zelda«, antwortete Septimus, »aber eigentlich möchte ich nur die Flasche von ihr. Das heißt, Marcellus möchte sie.«
»Flasche? Was für eine Flasche?«
Septimus zuckte
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