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Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Titel: Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hartman
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zurück, viel zu theatralisch für einen Drachen, aber mein Vater sieht darin die Geste der Ehrerbietung, die ich ihm schulde.
    »Ich werde mich der Sache annehmen«, sagt er. »Du bist zwar nicht das mächtigste Weibchen, aber du kannst gut fliegen und hast gute Zähne. Sie werden sich geehrt fühlen, ihre Familien mit der unseren zu verbinden. Versprich mir nur, alle schwächlichen Eier zu zerstören, bevor die Jungen schlüpfen, so wie ich Ormas Ei hätte zerbrechen sollen.«
    Ah, Orma. Du wirst der Einzige sein, der mir fehlen wird.
    Ich stoße einen kleinen wohlberechneten Feuerball aus, ziele auf einen schmalen Eispfeiler der Gletscherwand. Wenn er einstürzt, kommt alles ins Rutschen. Hinter meinem Vater reißt ein Spalt auf, das Eis kreischt, als der Gletscher auseinanderbricht. Ich springe zurück, weiche den Eissplittern aus und rutsche die Moräne hinab, hüpfe über Felsbrocken, bis ich mich in die Luft schwingen kann. Ich fliege gegen den Wind aus dem einstürzenden Gletscher und schraube mich in die Höhe. Ich sollte so schnell wie möglich fliehen, aber ich bringe es nicht fertig. Ich muss sehen, was ich getan habe. Es sind meine Schmerzen, ich habe sie mir verdient und ich werde sie für den Rest meiner Tage tragen.
    Das zumindest bin ich uns beiden schuldig.
    Wie vorausberechnet, war das Eis unter seinem Wärme verströmenden Körper zu weich und zu rutschig, um mit den Krallen einen guten Halt darauf zu finden. Er konnte sich nicht rechtzeitig in die Luft schwingen und ist rückwärts in die Gletscherspalte gestürzt. Eine dicke Eisnadel von weiter oben – von einer Stelle, die ich in meinen Berechnungen gar nicht berücksichtigt habe – ist auf ihn gefallen und hat seinen Flügel unter sich begraben. Ihn vielleicht sogar durchstochen. Ich drehe Kreise, um herauszufinden, ob ich ihn getötet habe. Ich rieche sein Blut, es riecht wie Schwefel und Rosenduft, aber er schnaubt und schlägt um sich. Kein Zweifel, er ist noch am Leben. Ich schalte alle Quigutl-Apparate ein, die ich habe, und werfe sie auf ihn. Sie glitzern in der Nacht. Aus der Ferne könnte ihn jemand mit einem Schatz verwechseln. Man wird ihn sicher finden.
    Ich drehe noch ein paar Runden am Himmel und verabschiede mich von Tanamoot – von den Bergen, dem Himmel, den Flüssen und Seen, von allen Drachen. Ich habe meine Versprechen gebrochen, habe mit meinem Vater, mit meiner Familie, mit allem gebrochen. Jetzt bin ich die Verräterin.
    Ach, Orma, bring dich in Sicherheit vor ihm.
    Die Vorhänge vor dem Bett tanzten, von der warmen Luft bewegt, eine geisterhafte Sarabande. Ich starrte sie eine Weile an, aber ich sah nichts, sondern fühlte mich nur ausgelaugt und zerschlagen.
    Jede einzelne Erinnerung half mir, besser zu verstehen. Die allererste Erinnerung, vor so langer Zeit, hatte mir mit Gewalt die Schuppen von meinen blinden Augen gerissen und mir den Frieden genommen, und das vielleicht sogar für immer. Nach der zweiten hatte ich meiner Mutter ihren rücksichtslosen Egoismus übel genommen, zumindest das konnte ich mir inzwischen eingestehen. Nach der dritten Erinnerung hatte ich sie beneidet. Doch nun … nun war es anders. Aber nicht sie war anders – sie war ja tot und konnte sich nicht mehr ändern –, sondern ich. Ich hatte mich geändert. Meinen schmerzenden linken Arm fest an die Brust gepresst, empfand ich ein tiefes Einvernehmen mit ihr.
    Diesmal hatte ich gespürt, wie sie gekämpft hatte, und darin auch etwas von meinen eigenen Kämpfen wiedererkannt. Sie hatte ihren Vater mehr als die Familie, als ihr Land, als alle anderen Drachen, mehr als alles, was sie seit ihrer Kindheit kannte, geschätzt. Sie hatte sich um Orma gesorgt, soweit ein Drache sich überhaupt um etwas sorgen kann – nicht zuletzt damit hatte sie meine Sympathie erworben. Und was die nagende Leere in ihrem tiefsten Herzen anging, die war mir nur allzu vertraut.
    »Ich dachte, ich wäre die Einzige, die diese Leere je gespürt hat, Mutter«, raunte ich in die Bettvorhänge. »Ich dachte, ich wäre allein, und vielleicht auch ein bisschen verrückt.«
    Das Federbett wollte mich jetzt nicht mehr verschlingen, es schien nun eine Wolke zu sein, die mich einer strahlenden Erleuchtung entgegentrug. Meine Mutter hatte einen gegen den Ardmagar gerichteten Verschwörerkreis aufgespürt. Wie schwierig dies auch für mich werden würde, wie sehr mich Kiggs auch verachten oder der Ardmagar mich verdammen mochte, dieses Geheimnis konnte ich nicht für mich

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