Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
langsam und bedächtig durch die Menge, als watete er durch tiefes Wasser. Allen Heiligen sei Dank, er war groß und sein grellgrüner Spitzhut ließ ihn noch eine Elle größer erscheinen. Ich sah ihn eher als er mich.
Ich machte mich auf den Weg zu den Laubengängen, schlängelte zwischen den Marktbesuchern hindurch, so gut ich konnte, aber immer wenn ich mich umsah, war er hinter mir, und jedes Mal ein Stückchen näher. Bald würde er mich eingeholt haben, es sei denn, ich fing an zu rennen, doch damit würde ich nur die Aufmerksamkeit auf mich lenken. Nur ein Dieb rennt auf einem Markt.
Ich fing an zu schwitzen. Die Stimmen der Händler hallten von den Arkadengewölben wider, aber da war noch ein Geräusch, schneidend und schrill inmitten des eintönigen Gemurmels.
Vielleicht war das die Chance, von mir abzulenken.
Ich bog um eine Ecke und sah zwei Söhne Sankt Ogdos am Rand des öffentlichen Brunnens stehen. Einer schwang ketzerische Reden, der andere, ein derber, kampfeslustiger Bursche, stand daneben und hielt nach Wachen Ausschau. Ich wich zurück und versteckte mich hinter einem fetten Mann, seiner Lederschürze und der Ahle nach zu urteilen ein Flickschuster. So konnte ich nach Thomas Ausschau halten, ohne dass er mich entdeckte. Und tatsächlich, als Thomas den mit einer schwarzen Feder geschmückten Sohn Ogdos erblickte, der aufgeregt auf dem Brunnenrand herumhüpfte, blieb er stehen und hörte wie alle anderen auch mit offenem Mund zu.
»Brüder und Schwestern unter dem Himmel«, rief der Liebling Sankt Ogdos. Seine Feder erbebte und seine Augen funkelten feurig. »Glaubt ihr allen Ernstes, dass dieses Obermonster wieder von hier verschwindet, sobald es erst einmal einen Fuß in unsere Stadt gesetzt hat?«
»Nein!«, ließen sich vereinzelte Stimmen hören. »Werft die Teufel hinaus!«
Der Sohn Ogdos hob seine knorrige Hand und gebot Ruhe. »Dieser sogenannte Friedensschluss, dieser Fetzen Papier, ist ein trügerisches Machwerk, mit dem man uns einlullen will. Man hat unsere Königin dazu verleitet, die Ritter zu vertreiben, die einst der Stolz des ganzen Südlands gewesen waren. Diese Untiere warten ab, bis wir völlig wehrlos sind. Wo ist die mächtige Dracomachie, unsere hohe Kriegskunst geblieben? Es gibt sie nicht mehr. Und aus welchem Grund sollten die Drachen denn auch gegen uns kämpfen? Sie haben schon die stinkenden Quigs als Vorhut geschickt, die sich in dem verdorbenen Herz dieser Stadt eingenistet haben. Nun, nach vierzig Jahren, kommen sie, eingeladen von der Königin höchstpersönlich. Vierzig Jahre sind gar nichts für diese langlebigen Ungeheuer! Es sind dieselben Monster, gegen die unsere Großväter im Kampf gefallen sind – und wir sollen ihnen vertrauen?«
Ein rauer Schrei aus vielen Kehlen erscholl. Thomas grölte genauso begeistert wie die anderen auch, ich sah ihn durch eine Wand hochgereckter Fäuste. Das war die Gelegenheit für mich zu entwischen. Ich kämpfte mich zwischen den Leuten hindurch, die so eng standen, dass es einem die Luft raubte, hinaus aus dem Labyrinth des Marktes, und stolperte in das milchige Licht der Sonne.
In der kalten Luft wurden meine Gedanken wieder klar, aber mein Herz raste immer noch. Ich war nur noch eine Straßenzeile von Sankt Ida entfernt, und ich beschleunigte meine Schritte aus Angst, Thomas könnte mir erneut folgen.
Ich nahm zwei Stufen auf einmal, als ich, nur wenige Minuten später, zur Musikbibliothek von Sankt Ida emporstieg. Die Tür zu Ormas Zimmer klemmte ein wenig zwischen zwei Bücherregalen; es sah so aus, als wäre sie nur hingelehnt, und das war sie auch. Auf mein Klopfen hin hob Orma die Tür kurzerhand beiseite, ließ mich eintreten und stellte sie dann wieder an ihren Platz.
Der Raum war kein richtiges Zimmer. Er bestand aus Büchern, oder genauer gesagt, aus dem schmalen Gang zwischen zwei Buchregalen und drei kleinen Fenstern. Ich hatte schon viel Zeit hier verbracht, gelesen, geübt, Unterricht gehabt, und mehr als einmal hatte ich hier übernachtet, wenn es zu spät zum Nachhausegehen geworden war.
Orma räumte einen Stapel Bücher von einem Stuhl, damit ich mich setzen konnte, er selbst hockte sich auf einen anderen Bücherstapel. Diese Angewohnheit von ihm hat mich schon immer amüsiert. Drachen horteten keine Goldschätze mehr, seit Comonots Reformen war das verboten. Jetzt war Wissen der Schatz, den Orma und seine Generation anhäuften. Und wie schon seit undenklichen Zeiten setzten sich Drachen auf das,
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