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Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Titel: Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hartman
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was sie gehortet hatten.
    Ich fühlte mich wieder sicher, und das nur, weil ich mit ihm zusammen war. Ich packte meine Instrumente aus, und während ich losplapperte, verflog meine Angst. »Ich wurde gerade über den Sankt-Willibald-Markt gejagt. Und weißt du auch, warum? Weil ich zu einem Quig nett gewesen bin. Tag für Tag verberge ich alles, was den Menschen einen Grund liefern könnte, mich zu hassen, und dann stellt sich heraus, dass sie gar keinen Grund dafür brauchen. Was für eine Ironie des Schicksals, der Himmel hat sich einen Scherz mit mir erlaubt.«
    Ich hatte nicht ernsthaft erwartet, dass Orma darüber lachen würde, aber heute war er noch einsilbiger als sonst. Er starrte auf die tanzenden Staubflusen in dem Sonnenlicht, das durch sein winziges Fenster fiel. Seine Brillengläser spiegelten, und ich konnte noch weniger als sonst erahnen, was in ihm vorging.
    »Du hörst mir gar nicht zu«, beschwerte ich mich.
    Er sagte nichts, sondern nahm seine Brille ab und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. Sah er heute nicht gut? Er hatte sich nie an seine menschlichen Augen gewöhnen können, die so viel schlechter waren als seine Drachenaugen. Wenn Orma seine natürliche Gestalt angenommen hatte, konnte er eine Maus in einem Weizenfeld erspähen. Keine Brille, wie gut sie auch sein mochte, konnte diesen Unterschied wettmachen.
    Ich musterte ihn aufmerksam. Es gab Dinge, die meine Augen – und mein menschlicher Verstand, der sie lenkte – sehen und unterscheiden konnten und die ihm selbst verborgen blieben. Er sah elend aus, blass und abgespannt, er hatte Ringe unter den Augen und kämpfte mit seinen Gefühlen. Das war etwas, was kein anderer Drache begriffen hätte.
    »Bist du krank?« Ich lief zu ihm hin, wagte aber nicht, ihn zu berühren.
    Er verzog das Gesicht und streckte sich nachdenklich, dann schien er einen Entschluss zu fassen. Er nahm die Ohrringe ab und legte sie in eine Schublade; was auch immer er mir mitzuteilen hatte, er wollte auf keinen Fall, dass die Zensoren es hörten. Er zog etwas aus seinem Wams und drückte es mir in die Hand. Es war schwer und kalt, und ohne dass er etwas sagen musste, wusste ich, es war der Gegenstand, den die kleine Bettlerin ihm nach dem Begräbnis des Prinzen geschenkt hatte.
    Es war eine Goldmünze, alt und wertvoll. Ich erkannte auf der Schauseite eine Königin oder jedenfalls ihre Insignien. Auf der Rückseite war Pau-Henoa, der Herr der Gauner, eingeprägt. »Stammt sie aus der Zeit von Königin Belondweg?«, fragte ich. Sie war Goredds erste Königin gewesen, vor beinahe tausend Jahren. »Woher bekommt man so etwas? Und sag mir nicht, die Bettler in der Stadt schenken jedem so etwas, denn ich habe noch so etwas bekommen.« Ich gab sie ihm wieder zurück.
    Orma rieb die Münze zwischen den Fingern. »Das kleine Mädchen war eine zufällige Botin. Sie spielt keine Rolle. Die Münze kommt von meinem Vater.«
    Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Weil ich alle Gedanken an meine Mutter unterdrücken musste – ich wagte es ja nicht einmal, mir Orma als meinen Onkel vorzustellen, außer ich verplapperte mich und sprach ihn versehentlich so an –, hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, auch alle Gedanken an meine weitverzweigte Drachenfamilie zu unterdrücken. »Woher weißt du das?«
    Er zog die Augenbrauen hoch. »Ich kenne jede Münze im Schatz meines Vaters.«
    »Ich dachte, es sei verboten, Schätze zu horten.«
    »Selbst ich bin älter als dieses Gesetz. Ich erinnere mich an den Schatz meines Vaters, so wie ich mich an meine Kindheit erinnere. Ich kenne jedes Goldstück und jeden Pokal.« Er blickte versonnen und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als vermisse er den Geschmack von Gold. Dann sah er mich an und verzog das Gesicht. »Mein Vater wurde gezwungen, seinen Schatz herzugeben, obwohl er sich jahrelang dagegen wehrte. Der Ardmagar ließ ihn gewähren, bis die Schande deiner Mutter uns alle in Verruf brachte.«
    Orma sprach selten von meiner Mutter. Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Er sagte: »Als Linn mit Claude durchbrannte und nicht mehr nach Hause kommen wollte, haben die Zensoren eine Untersuchung der geistigen Verfassung aller unserer Familienmitglieder verlangt. Meine Mutter hat sich wegen dieser Schande umgebracht, was man als zweiten Beweis von Irrsinn in unserer Familie gewertet hat.«
    »Ich erinnere mich, dass du mir davon erzählt hast«, sagte ich rau.
    »Dann wirst du dich auch erinnern«, fuhr er fort,

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