Serafinas später Sieg
stachen ihr wie Nadeln ins Gesicht, und sie mußte die Augen zusammenkneifen, um etwas sehen zu können. Sie werden im Frühling nirgendwohin segeln, Sie werden im Kindbett liegen. Der Fischer hatte recht, und er war sicherlich nicht der einzige, dem ihr Zustand aufgefallen war. Bestimmt waren die Wettgewinne längst ausbezahlt. Es war ihr gelungen, ihre Kunden und Geschäftspartner dazu zu bringen, sie ernst zu nehmen – würden sie das jetzt auch noch tun? Sie hörte Amadeo, der hinter ihr ritt, etwas rufen, doch sie reagierte nicht. Verdammtes Kind! Nein – es war ganz allein ihre Schuld, daß sie sich jetzt in dieser Lage befand. Dieses Eingeständnis verstärkte ihre Wut noch. Andererseits – ohne das Kind stünde sie vor dem Nichts, wenn Jacopo stürbe! Wieder rief Amadeo ihr etwas zu, diesmal lauter und drängender: »Vorsicht – ein Graben!« Doch es war zu spät. Das Pferd versuchte zu bremsen, kam ins Rutschen und riß den Kopf hoch.
Serafina wurden die Zügel aus der Hand gerissen, sie fiel und landete mit dem Gesicht nach unten in faulenden Blättern. Sie hob den Kopf und rang verzweifelt nach Atem. Der Sturz hatte alle Luft aus ihren Lungen gepreßt. Amadeo kam herbeigeeilt und half ihr, sich aufzurichten. »Ist Ihnen etwas passiert?« fragte er besorgt. Sie schüttelte den Kopf, zum Sprechen fehlte ihr die Luft. Er holte die Flasche, die an seinem Sattel hing, und reichte sie ihr.
Der Aquavit brannte wie Feuer, aber er weckte ihre Lebensgeister. »Mein Pferd!« brachte sie mühsam hervor. Amadeo versuchte das auf der Seite liegende Tier hochzuziehen. Als es sich sträubte, kniete er sich in die Blätter und untersuchte es.
»Ein Vorderlauf ist gebrochen«, stellte er fest. Serafina wußte, was kommen würde, und wandte sich ab. Sie hörte Amadeo beruhigend auf das schnaubende Pferd einreden. Dann war es still. Mit zitternden Knien ließ sie sich von Amadeo zu seinem Pferd führen. Er nahm sie vor sich auf den Sattel. Serafina fühlte sich elend. Durch ihre Schuld hatte ein Pferd sterben müssen. Es war unverantwortlich gewesen, bei diesem Wetter so schnell zu reiten. Doch der Tod des Pferdes war nicht die einzige Folge ihres unbedachten Verhaltens.
Die Schmerzen begannen, als sie Pisa schon fast erreicht hatten, anfänglich kaum spürbar. Ein dumpfer Druck in der Steißbeingegend. Würde sie jetzt die Strafe dafür bekommen, daß sie Jacopo Capriani und Thomas Marlowe mit nüchterner Berechnung für die Erreichung ihrer Ziele mißbraucht hatte? Würde sie das Kind verlieren – und damit ihre Existenz und alle Hoffnung, zurückzugewinnen, was ihr genommen worden war? Als sie in die Stadt einritten, legte sich die Angst wie eine eiskalte Faust um ihr Herz.
Die Kurtisane Constanza schrak auf, als unten auf der Straße plötzlich ein Höllenlärm losbrach. Sie trat ans Fenster, wischte die beschlagene Scheibe frei und spähte hinunter.
Eine Gruppe von Frauen hatte sich vor ihrem Haus versammelt – groteske Gestalten in zerfetzten, spitzengesäumten Kleidern über riesigen Reifröcken und mit in alle Richtungen abstehenden Locken, die mit Perlenschnüren, bunten Bändern und Federn geschmückt waren. Eine der »Damen« versetzte der Haustür einen erstaunlich kräftigen Tritt, was ihr kreischenden Beifall der anderen einbrachte, die mit Flöten und Tamburinen ein schauriges Konzert veranstalteten.
»Soll ich einen Eimer Spülwasser hinunterschütten?« fragte Thomas aus dem Hintergrund.
Constanza drehte sich zu ihm um und schüttelte lächelnd den Kopf. Es war vier Wochen her, daß sie den englischen Steuermann aus seinem entsetzlichen Quartier in Livorno befreit und mit nach Pisa gebracht hatte. Sie hatte ihn gepflegt, gefüttert und in ihrem kleinen Gästezimmer seine Alpträume ausleben lassen. Warum hatte sie ihn mitgenommen? Auf keinen Fall, weil sie ihn körperlich anziehend gefunden hatte. Sie glaubte nicht, daß sie jemals wieder einen Mann begehren würde. Dieses Kapitel hatte sie vor langer Zeit abgeschlossen, um überleben zu können. Zuerst fürchtete sie, daß Thomas es nicht schaffen würde, daß, was das Meer und der eifersüchtige Ehemann seiner Geliebten begonnen hatten, durch die Erschöpfung und das Fieber vollendet würde. Doch er war zäh und begann zu kämpfen – zunächst instinktiv und dann mit einer Sturheit, die ihrer Meinung nach eher aus Gewohnheit als aus Willenskraft resultierte. Er bewegte sich noch immer vorsichtig und ermüdete rasch, aber der unnatürliche
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