Serafinas später Sieg
Glanz war aus seinen Augen verschwunden, und er schrie kaum noch im Schlaf.
Doch manchmal wünschte sie sich geradezu, daß er schreien, toben oder weinen würde – er war von der Frau, die er liebte, mißbraucht worden, hatte mit ansehen müssen, wie der Traum, auf dessen Verwirklichung er jahrelang mit wahrer Besessenheit hingearbeitet hatte, zerstört wurde, und konnte der Rückkehr seines Widersachers nur mit Grauen entgegenblicken –, doch seine Augen spiegelten weder Wut noch Verzweiflung. Nur Leere. Sie kam nicht an ihn heran. Und er trank zuviel. Anfangs hatte er getrunken, um die Schmerzen zu betäuben, die ihm seine Verletzungen und die gebrochenen Rippen verursachten, inzwischen trank er, um einen anderen Schmerz zu betäuben. Bald würde er trinken, weil er die Tage nicht anders überstehen könnte, eine Entwicklung, die sie voller Kummer beobachtete.
Heute abend hatte er sein Weinglas schon mehrmals nachgefüllt. Es fiel ihr schwer, Geduld zu bewahren. Sie glaubte den Grund für seine Gereiztheit zu kennen, doch seine Miene hatte sie daran gehindert, das Thema anzuschneiden. Die Ablenkung durch die lärmenden Frauen auf der Straße war ihr höchst willkommen.
Der Steuermann trat an ihre Seite und schaute auf die seltsame Gesellschaft hinunter. Plötzlich prallte etwas gegen das Fenster: ein Geschoß aus Eierschalen und Rosenwasser, begleitet von übermütigen Hurrarufen und Applaus. Und dann prasselte ein wahres Trommelfeuer an die Scheibe.
Constanza wandte sich an ihren Pagen. »Hélion – geh öffnen.« Und auf den fragenden Blick des Engländers antwortete sie: »Es ist Galeazzo. Er muß zum Karneval aus Lucca herübergekommen sein.«
Hélion lief hinunter und zog den Riegel zurück. Die Frauen hörten das Geräusch und drückten gegen die Tür. Als sie aufging, stürzten sie in die Halle. Tamburine und Flöten schlitterten über den Fliesenboden, Kleidernähte rissen und Lockenperücken rutschten in die Gesichter. Constanza hatte recht gehabt: Es war Galeazzo – und ein halbes Dutzend seiner Freunde, alle maskiert und angetrunken. Die Kurtisane, die von der Treppe auf das Chaos hinunterschaute, schlug die Hände vor den Mund und begann zu lachen.
»Mach mir einen Kräutertrank, meine Liebe, Lucia kann es nicht so gut.«
Zwischen Küche und Salon lagen drei Treppenabsätze – sechzig Stufen hinauf und sechzig Stufen hinunter. Serafina stand in der Küche und seihte eine Mischung aus Ringelblumen und Beinwell ab. Als sie gestern aus Viareggio zurückgekommen war, hatte sie Jacopo berichten müssen, daß das Boot sich als ungeeignet erwiesen und ihr Pferd hatte getötet werden müssen. Im Gegensatz zu ihr verschwendete er kein Mitleid an das Tier, sondern jammerte nur darüber, wieviel ein neues Pferd kosten würde. Serafina hatte die Augen geschlossen und das dunkle Blut auf den fauligen Blättern gesehen und sich an die Stille erinnert, die kälter als die Winterluft in ihre Knochen gekrochen war, nachdem Amadeo dem Tier die Kehle durchschnitten hatte. Als sie sich mit der Begründung, sie leide unter Kopfschmerzen und Übelkeit, früh zurückzog, war es diesmal keine Lüge. Die Schmerzen in ihrem Rücken liegen es ratsam erscheinen, nach der Hebamme zu schicken, aber Serafina war nicht bereit, klein beizugeben. Sie hoffte darauf, daß sie sich, wenn sie ruhig läge, wieder in die dunkle Höhle zurückziehen würden, aus der sie gekrochen gekommen waren – und sie behielt recht: Nachdem sie dank eines der stärkeren Tränke von Kara Ali die Nacht traumlos geschlafen hatte, spürte sie nur noch hin und wieder ein ganz leichtes Ziehen.
Doch jetzt, nach einem arbeitsreichen Tag, kehrten die Beschwerden mit voller Heftigkeit zurück. Serafina stieg die Treppe wieder hinauf, stellte die Tasse mit dem Kräutersud neben das Sofa, auf dem ihr Mann lag, und ging zum Fenster. Es schneite leicht, aber die Flocken schmölzen, sobald sie den Boden berührten. Laternen und Fackeln tauchten die Straße und die Häuser auf der anderen Seite in ein warmes Licht. Jemand sang, und aus der Ferne klang leise Musik. Es war Karnevalszeit. Zu ihrem Ärger stiegen Serafina Tränen in die Augen.
»Schließ die Vorhänge, meine Liebe, es zieht!« Jacopos greinende Stimme riß sie aus ihrer Träumerei. Er hatte in den vergangenen Monaten stark abgenommen – ehemals hager, wirkte er jetzt, als leide er an Auszehrung. Sein Körper war in mehrere Schichten von Decken und Schals gewickelt. »Ich glaube, ich könnte
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