Serafinas später Sieg
frischgeschrubbte Besandeck auf seinen Gesprächspartner zu, der ihm befremdet entgegenblickte. »Guardi?« fragte Thomas. »Signor Angelo Guardi? Aus Marseille?«
Er kramte ein paar Münzen aus der Tasche. Als sie in die Hand des Seemanns klimperten, ließ dieser sich zu einem Nicken herab. Das Geld hätte ich mir sparen können, dachte Thomas – ich wußte es ja ohnehin. Doch er hatte sich vergewissern müssen. Das Kreischen der Möwen und der Lärm von den belebten Docks, alle Geräusche schienen plötzlich aus weiter Ferne zu kommen. Thomas war wieder in Marseille – vor einem Haus, das ebenso goldüberladen war wie dieses Schiff – und neben ihm stand, wie ein Stallbursche gekleidet, Serafina. Kurz danach hatte sie in der Bäckerei ein Brot gestohlen.
Das goldene Haus gehörte Angelo – ebenso dieses Schiff. Serafinas Halbkusin war seit nunmehr beinahe neun Jahren der Besitzer des Guardi-Tuchhandels. Er hatte Serafinas Vater ermorden lassen und war dafür verantwortlich, daß sie in Sklaverei geriet und ihr Erbe verlor. Angelo war das Objekt von Serafinas Liebe und Abscheu. Es war eine Beziehung, die Thomas nicht verstand, und zu der er niemals fähig gewesen wäre, doch er hatte ihre Natur erkannt, als er Serafina damals in der Taverne in Pisa, erfüllt von Verzweiflung, Wut und Eifersucht, zum ersten Mal geküßt hatte.
Es war also Angelo gewesen, der sechs Monate zuvor versucht hatte, das Zinn von der Garland zu stehlen, um es an einen türkischen Korsaren zu verkaufen! Nicht weiter verwunderlich, schließlich hatte er schon früher Geschäfte mit den Türken gemacht. Nur hatte es sich damals um menschliche »Ware« gehandelt! Thomas stieß einen unflätigen Fluch aus, woraufhin der Seemann ihn verständnislos anstarrte. Thomas zwang das Lächeln auf sein Gesicht zurück. »Kann ich mit Monsieur Guardi sprechen?«
Der Matrose schüttelte den Kopf und spuckte über die Reling. »Monsieur Guardi ist in Florenz.«
Doch Angelo Guardi hatte Florenz noch nicht erreicht. Nachdem er die Fiametta verlassen hatte, machte er einen Abstecher nach Livorno, wo er geschäftlich zu tun hatte. Anschließend ritt er mit seinen Begleitern gemächlich landeinwärts.
Angelo war mittlerweile Ende Zwanzig. Das volle, dunkelgoldene Haar fiel in weichen Wellen bis auf den Kragen, die Augen waren, wie bei allen Desmoines, fast schwarz, die edle Nase gab dem Gesicht mit den hohen Backenknochen etwas Aristokratisches. Seine Kleider waren aus kostbaren Stoffen und von tadellosem Schnitt. Er trug ein schwarzes Wams aus bester persischer Seide mit Flügelärmeln, wattierten Schultern und scharlachrotem Besatz. Das scharlachrote Cape, das er sich lässig über die Schulter geworfen hatte, floß in weichen Falten über den schwarzen Rücken seines Pferdes.
Angelo genoß es, Muße zum Nachdenken zu haben. Obwohl er durchaus in der Lage war, blitzschnell zu handeln, wenn es sein mußte, zog er es vor, jede Möglichkeit bedenken und jeden Fehler ausschließen zu können, bevor er seine Entscheidung traf. In letzter Zeit hatten die Ereignisse sich allerdings derart überstürzt, daß ihm kaum Gelegenheit dazu geblieben war. Aber jetzt, auf diesem Ritt durch die liebliche, sonnenbeschienene Landschaft, konnte er durchatmen und sich etwas entspannen. Die politische Situation in Marseille hielt die Bewohner durch ständige Veränderungen seit langer Zeit in Atem. Im Februar war Charles Casaulx, der selbsternannte Gouverneur der Stadt, ermordet worden. Kurz darauf öffneten Verräter nachts die Stadttore für das Heer des Duc de Guise: Im März schloß der ehrgeizige Duc d'Epernon Frieden mit Henri de Navarre – inzwischen König Henri IV. von Frankreich. Obwohl Spanien immer noch, fast schon aus Gewohnheit, an dem Königreich nagte, würde sich Frankreich in Kürze unvermeidbar unter bourbonischer Herrschaft befinden.
Doch dies alles war zu spät für Angelo gekommen. Wäre es König Henri früher gelungen, sein Reich zu vereinen, hätte er wahrscheinlich ohne Unterbrechung daran arbeiten können, das zwar alteingesessene, aber nicht übermäßig erfolgreiche Geschäft Franco Guardis auszubauen, aber unter den obwaltenden Umständen hatte er harte Zeiten durchgemacht und zu harten Maßnahmen greifen müssen, um zu überleben.
Die Jahre der Diktatur unter Charles de Casaulx waren besonders schwierig gewesen. Die übrige Bevölkerung war neidisch auf den Erfolg der Kaufleute, und anstatt den immer mehr ausufernden Unmut einzudämmen,
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