Serafinas später Sieg
als die Kingfisher. Es segelte unter französischer Flagge, trug jedoch einen italienischen Namen: Fiametta. Und die Franzosen hatten offensichtlich die Absicht gehabt, unser Zinn an einen Korsaren zu verkaufen, denn es lag eine türkische Galeere längsseits!« Ein französisches Schiff und ein türkisches! Serafina trank einen Schluck Wein. Vor ihrem geistigen Auge erschien das Bild eines Schiffes, das unter dem Hoheitszeichen Venedigs – dem Löwen von San Marco – auf die Gabrielle zukam, das plötzlich durch die blutrote Sichel des Islam ersetzt wurde. Es war, als sei die Vergangenheit aus einer dunklen Ecke gekrochen und entführe sie in die schrecklichen Erlebnisse ihrer Kindheit. Dankbar ließ sie sich von Thomas in die Gegenwart zurückholen.
»Als ich in Neapel war«, berichtete er, »erfuhr ich, daß die Fiametta erst kürzlich dort gelegen hatte, und so beschloß ich, nach Norden zu reiten – man hatte mir gesagt, sie sei in diese Richtung gesegelt. Ich hoffte, sie hätte vor der Rückkehr nach Frankreich von Handels wegen noch in einem der italienischen Häfen geankert. Ich wollte unbedingt den Namen des Kapitäns in Erfahrung bringen. Wenn es den Franzosen gelungen wäre, das Zinn von der Garland zu holen, wäre sie gesunken!«
Die Finger im Schoß ihres seidenen Trauergewandes verschlungen, hob Serafina den Kopf und blickte in Thomas' kornblumenblaue Augen. Sie verstand, was der Verlust der Garland für ihn bedeutet hätte und daß er den Namen des Mannes wissen wollte, der dies alles geplant hatte niemand konnte seine Wut besser nachempfinden.
»Ich fand die Fiametta in Civitavecchia«, fuhr der Steuermann fort. »Der Name des Kapitäns ist Angelo Guardi. Offenbar hat Ihr Halbkusin die vor vielen Jahren geknüpften Kontakte nicht abreißen lassen.«
Ihr war, als gefröre ihr das Blut in den Adern. »Angelo!« flüsterte sie: Angelo verkauft den Türken Zinn, damit sie Kanonen gießen können, die sie dann einsetzen, um christliche Schiffe aufzubringen. Französische Schiffe, Marseiller Schiffe – wie die Gabrielle , die Mignon und die Petit Cœur. Angelo stand in Verbindung mit Korsaren – wie damals, als er …
»Es besteht ein chronischer Mangel an Zinn, wissen Sie«, sagte Thomas in ihre Gedanken hinein. »Deshalb bringt es sehr viel ein. Aber Geschäfte mit den Türken zu machen ist gefährlich. Diesen Kurs segelt man nicht leichtfertig. Meiner Ansicht nach versucht Angelo, Einbußen bei seinen regulären Geschäften dadurch auszugleichen.«
Natürlich! Hoffnung flammte in Serafina auf. Der französische Religionskrieg, Charles de Casaulx' Isolationspolitik, der Haß der Marseiller Bevölkerung auf die wohlhabenden Kaufleute – all das mußte eine Bedrohung für Angelos Existenz bedeutet haben. Die Geschichte war nicht gerade sanft mit ihm umgegangen. Thomas hatte recht, Angelo würde sich nicht als Pirat betätigen und Geschäfte mit dem Feind machen, wenn er sich nicht in einem Engpaß befände. Vielleicht stand ihm das Wasser ja schon bis zum Hals! Ihre Hände hatten zu zittern begonnen. Sie umfaßte die Armlehnen ihres Stuhles und versuchte ihrer Erregung Herr zu werden.
Angelo war finanziell nicht mehr gesichert, und sie hatte dazu beigetragen, indem sie ihm Kunden abwarb und Gerüchte über seine mangelnde Solvenz ausstreute. Aber wie paßte das goldene Haus in dieses Bild, und jetzt auch noch die Fiametta ? Ein herrliches Schiff, hatte Thomas gesagt …
Daß sie laut gesprochen hatte, wurde ihr erst bewußt, als sie Thomas' Blick sah, der voller Besorgnis auf ihr lag. »Die Fiametta ist wirklich atemberaubend«, sagte er. »Verschwenderisch mit Blattgold verziert und wunderschön in der Form, aber als ich in Civitavecchia Gelegenheit hatte, sie mir genauer anzusehen, stellte ich fest, daß Monsieur Guardi zugunsten der oberflächlichen Pracht beim Holz gespart und auch nicht das Geld ausgegeben hat, das erstklassige Handwerker nun einmal kosten. Das Schiff ist von Stümpern kalfatert worden.«
Den Körper angespannt wie eine Bogensehne, hörte sie aufmerksam zu, als er ausführte, wie wichtig es sei, nur bestes Holz zu verwenden, damit die Balken sich nicht verzögen oder Risse bekämen, und Sorge zu tragen, daß der Rumpf tadellos kalfatert würde, was nur auf dem Trockendock gewährleistet sei, jedoch nicht, wie in den Mittelmeerländern üblich, während das Schiff im Wasser lag.
Die Informationen formten sich in Serafinas Kopf zu einer Schlußfolgerung, die sie mit
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