Serafinas später Sieg
»Den Zusammenschluß mit jemandem, der seidenverarbeitende Werkstätten besitzt. Die Firma Guardi arbeitete früher hier mit einer Firma zusammen, aber der Kontakt ist abgerissen.« Er sprach von den Corsinis, mit deren Familienoberhaupt, Michele, die damals zehnjährige Serafina hätte verlobt werden sollen.
»Die letzten Jahre sind für die Marseiller Kaufleute nicht einfach gewesen, wie Sie sicher wissen, Signor Nadi. Die Dinge haben sich zwar inzwischen geändert – wir haben wieder einen König –, aber wir leiden noch immer unter den Nachwirkungen jener schlimmen Zeit.«
»Sie haben Schulden«, meinte Lorenzo trocken.
Angelo schluckte. Jetzt ging es ums Ganze. »Ja«, bestätigte er mit entwaffnender Offenheit. »Ich habe Schulden.« Deshalb war er hier, deshalb wollte er unbedingt die Hand der unscheinbaren Tochter des Hauses gewinnen, deshalb ließ er dieses Verhör über sich ergehen. Es widerstrebte ihm aus tiefster Seele, sein Schicksal in die Hand dieses Mannes zu legen, aber er hatte keine Wahl. Lorenzo Nadi stellte die unvermeidliche Frage nach der Höhe der Schulden, und Angelo beantwortete sie ohne Zögern. Während der reiche Kaufmann hin- und herrechnete und zwischendurch immer wieder Einzelheiten erfahren wollte, dachte Angelo an seine zukünftige Frau.
Fiametta hatte bedauerlicherweise nichts von ihrer Mutter geerbt-nicht die wohlgeformte Figur, nicht die Haare, die wie gesponnenes Gold wirkten, nicht die ausdrucksvollen Augen und auch nicht die Ausstrahlung, eine Mischung aus Naivität und Raffinesse. All dies hatte die dreizehnjährige Nencia mitbekommen. Fiamettas Haare waren sandfarben, die Augen von einem verwaschenen Blau. Sie war fast so groß wie Angelo und versuchte dies durch eine gebeugte Körperhaltung zu vertuschen. Außerdem fehlte ihr die Unbefangenheit, mit der ihre Mutter und Schwester bezauberten, und ihre Konversation war ebenso unbeholfen wie ihr Auftreten. Beim Tanzen gestern abend hatte sie ihm kaum gestattet, sie zu berühren. Wie würde sie wohl im Bett sein? War sie tatsächlich so spröde, wie sie sich gab, oder wartete sie nur darauf, daß jemand sie erweckte? Hätte er die Wahl gehabt, wäre sie auf Giulia gefallen – oder auf die kleine Nencia. Aber er hatte keine Wahl, und deshalb hütete er sich, auf Giulias Signale zu reagieren. Nicht einmal ihre Reize waren es wert, sich Lorenzo Nadis Grimm zuzuziehen. Er beschränkte sich darauf, gelegentlich in Phantasien zu schwelgen. Und er hielt sich noch aus einem zweiten Grund zurück: Er konnte es sich nicht leisten, Fiametta zu verärgern.
Lorenzos Feder kratzte noch immer über das Papier. Angelo war erstaunt, daß Signor Nadi die Berechnungen selbst anstellte, anstatt es einem Angestellten zu überlassen, und nicht einmal einen Abakus benutzte. Schließlich zog er einen schwungvollen Schlußstrich und blickte auf. »Ein ganz hübsches Sümmchen, Signor Angelo.
Der registrierte zutiefst erleichtert, daß der Ältere ihn nach wie vor mit dem Vornamen ansprach. Mit unbewegtem Gesicht antwortete er in gelassenem Ton: »Das ist richtig – aber schon eine erfolgreiche Reise würde mich in die Lage versetzen, es zurückzahlen zu können. Darin liegt der Wert der Fiametta , deshalb habe ich Schulden gemacht, um ihren Bau zu ermöglichen.«
Lorenzo faltete die Hände vor sich auf dem Schreibtisch. »Um die Reise, von der Sie sprechen, finanzieren zu können, müßten Sie einen weiteren großen Betrag leihen.«
Angelo blickte ihm geradewegs in die Augen. »Ja, Signor.«
»Wenn diese Reise ein Erfolg würde, wären Sie aus dem Gröbsten heraus. Wenn Ihre Rechnung jedoch nicht aufginge«, Lorenzos Augen waren kalt wie Eis, »bedeutete das Ihren Bankrott.«
Angelo senkte die Lider und gab ihm mit einem angedeuteten Nicken recht. Lorenzo Nadi stand auf und trat zum Fenster, hinter dem der Garten lag. Nach einer Zeit, die Angelo wie eine Stunde erschien, sagte er: »Nun gut – ich werde mir überlegen, ob ich Ihnen das Geld für die Reise vorstrecke. Zu einem angemessenen Zinssatz natürlich. Und was Fiametta angeht, ich werde mir Gedanken über eine mögliche Verlobung machen. Meine Entscheidung wird Ihnen schriftlich zugehen. Seien Sie versichert, daß ich Ihre Werbung wohlwollend in Betracht ziehe. Ach, noch etwas, Ihr Notar, dieser Jehan de Coniques, hat Ihnen sicher treu gedient, aber Sie sollten darüber nachdenken, ob er nicht lange genug für Sie gearbeitet hat, sein Benehmen gestern abend hat kein gutes Licht
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