Serafinas später Sieg
rann Serafina ein eiskalter Schauer über den Rücken.
»Es ist die Fiametta – da bin ich ganz sicher«, sagte Thomas ruhig.
Er fürchtete die Fiametta nicht. Sie kam zwar noch immer in seinen Träumen vor, aber nicht mehr als die Bedrohung, als die sie ihm früher Alpdrücken verursacht hatte. Er wandte sich Serafina zu. Auf ihrem Gesicht zeigten sich widerstreitende Gefühle: Entsetzen und Hoffnung, Haß und Wehmut. »Sollen wir näher rangehen und sie uns ansehen?« fragte er.
Sie nickte schweigend.
Thomas gab die entsprechenden Befehle, lehnte sich an die Reling und schaute wieder nach vorn. Serafinas Augen waren wie gebannt auf die Fiametta gerichtet, als könne sie trotz der großen Entfernung das vertraute Gesicht entdecken. Als Thomas ihren Arm berührte, kam er sich vor wie ein Eindringling. »Er weiß natürlich nicht, daß er es mit mir zu tun hat«, sagte er. »Ich bin mit einem anderen Schiff unterwegs, segle unter anderer Flagge. Die Kingfisher hat nichts mit der Levant Company zu tun. Sie und die Farben der Caprianis sind Angelo gänzlich fremd.« Er hätte »noch« dazusetzen können, denn er hatte nicht die Absicht, es dabei zu belassen. Er sah, wie Serafinas Augen sich verengten, und ein böses kleines Lächeln über ihr Gesicht huschte. Über ihnen flatterten die Flaggen der Toskana und die Wimpel der Caprianis blau und golden im Wind. »Lassen Sie die Kingfisher zeigen, was in ihr steckt, Thomas«, forderte sie ihn auf. Er legte kurz seine Hand auf die ihre, die die Reling umklammerte. Dann gab er Befehl, das Schiff zum ersten Mal mit aller Kraft über die ligurische See fliegen zu lassen.
Es wurde ein Wettrennen, denn das andere Schiff hatte denselben Hafen zum Ziel. Am frühen Nachmittag lag immer noch ein gutes Stück zwischen den beiden Schiffen, doch sie waren einander schon so nahe, daß die Besatzung der Kingfisher den goldenen Namenszug Fiametta am Bug des Konkurrenten entziffern konnte. William Williams trat zu Thomas auf die Brücke und nickte zu dem Franzosen hinüber: »Und wenn du sie hast – was wirst du dann tun?«
Er hatte die gleiche Frage vor neun Monaten bereits einmal gestellt – in Zakynthos – und bekam wieder die gleiche Antwort: »Nichts«, sagte Thomas, ohne den Blick von der Fiametta zu wenden. »Noch nicht. Bei der Bewaffnung hat Angelo nicht gespart, er könnte sich sogar in einer Seeschlacht behaupten. Und außerdem …« Er hielt inne.
William beendete den Satz für ihn: »Und außerdem wäre ein Kampf zwischen einem toskanischen und einem französischen Schiff keine besonders gute Idee.«
Thomas nickte grinsend. »Zumindest nicht in diesen Gewässern. Eher in der Levante – da würde es niemanden kümmern.« Aber, dachte er, als er wohl zum hundertsten Mal an diesem Tag zu Serafina hinüberschaute, die allein auf dem Achterdeck stand, es würde ihm nicht vergönnt sein, sich auf See mit Angelo Guardi auseinanderzusetzen. Serafina wollte den Mann zwar vernichten, aber nicht indem sie ihn ertrinken ließ. Und wie wütend er auch auf diesen französischen Piraten sein mochte – seine Interessen mußten hinter den ihren zurückstehen. Sie stand noch immer an der Reling, regungslos wie eine Statue und sehr aufrecht, und starrte zur Fiametta hinüber. Thomas wußte nur zu gut, wen sie zu sehen hoffte.
An diesem Abend warfen sie in einer kleinen Bucht an der Südküste Frankreichs Anker. Eine halbe Meile landaufwärts tat die Fiametta das gleiche. Am folgenden Morgen setzte die Kingfisher schon früh die Segel, doch als sie die Landspitze umrundeten, sahen sie, daß das französische Schiff ihnen bereits ein ganzes Stück voraus war. Blendend weiß hoben sich die Segel gegen den blauen Himmel ab, das Kielwasser schäumte hoch auf.
Gegen drei Uhr nachmittags hatte sie den Konkurrenten aus den Augen verloren. Thomas war mit der Kingfisher weit ins Meer hinausgefahren, um den scharfen Felsen und tückischen Sandbänken in der Umgebung der Iles d'Hyères zu entgehen. Angelo, der die Strecke seit seiner Kindheit kannte, hielt sich nah an der Küste, um Zeit zu gewinnen. Doch bald waren es nicht nur Untiefen und Felsen, die Thomas Sorgen bereiteten. Eine schwarze Wolkenbank schob sich von Süden heran, ein heftiger Wind kam auf und zerrte an den Segeln und der Takelage der Kingfisher. Bald würde ein Unwetter losbrechen. Serafina, die seit dem frühen Morgen wieder »Wache stand«, wurde nun aus einem anderen Grund zum Objekt von Thomas' Besorgnis. Er ging zu
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