Serafinas später Sieg
ihr und sagte nach einer angedeuteten Verbeugung: »Ich möchte, daß Sie und Luisa Ihre Kabine aufsuchen. Sofort!« Wie schon oft, wußte er, kaum daß er ausgesprochen hatte, daß er den falschen Ton gewählt hatte. Die Zofe erhob sich sofort folgsam von dem Stuhl, auf dem sie mit ihrer Strickarbeit gesessen hatte, doch Serafina sah ihn nur kalt an und rührte sich nicht. »Weil wir ein Unwetter bekommen, Monsieur Marlowe? Ich ziehe es vor, an Deck zu bleiben.« Natürlich hatte sie seine vernünftige Bitte als Befehl aufgefaßt! Er hätte am liebsten gesagt: »Wenn du nicht sofort gehorchst, werde ich dich hinuntertragen!«, aber sie waren nicht allein, einige Besatzungsmitglieder standen erwartungsvoll in einiger Entfernung, und Cristofano hatte sein Werkzeug aus der Hand gelegt und grinste. Es kostete Thomas große Mühe, sein Temperament zu zügeln. »Signora – wir haben ein schweres Gewitter vor uns. Als Kapitän muß ich darauf bestehen, daß Sie sich unter Deck begeben, schließlich trage ich die Verantwortung für Sie.« Serafina änderte ihre Taktik. »Monsieur Marlowe«, sagte sie mit sanfter Stimme und einem liebenswürdigen Lächeln, »ist Ihnen entfallen, daß ich schon einmal durch ein Unwetter gesegelt bin, unter weit ungünstigeren Bedingungen? Ich bleibe hier!«
Die Narbe von ihrem Sturz auf den Bootsrand der Tartane war noch immer zu sehen. Wenn Serafina zur Mannschaft gehört hätte, hätte er sie wegen Unbotmäßigkeit bestrafen können, aber sie gehörte nicht zur Mannschaft – sie war derzeit die Besitzerin der Kingfisher – , und er würde seinen Männern nicht das Vergnügen gönnen, einem Streit zwischen dem Kapitän und der Schiffseignerin beizuwohnen. Ebenso sanft wie sie sagte er: »Wie Sie wünschen, Signora. Meine Leute werden es zweifellos genießen, sie mit nassen Haaren und durchweichten Kleidern bewundern zu dürfen, aber lassen Sie um Gottes willen Ihre Zofe gehen, bevor sie uns alle mit ihrem Gejammer wahnsinnig macht! Er wurde mit einem Gesichtsausdruck belohnt, der fast so finster war wie die Gewitterwolken – und damit, daß Serafina sich umdrehte und, gefolgt von der wimmernden Luisa, davonstolzierte. Cristofano, der nahe genug gestanden hatte, um jedes Wort mitzubekommen, prustete los. Zur Strafe schickte Thomas ihn in den Laderaum, damit er die Vertäuung der Waren überprüfte, während er selbst sich in seine Kajüte begab, um seine Karten zu Rate zu ziehen.
Als er auf die Küstenlinien und Sandbänke hinunterschaute, fragte er sich, was Angelo wohl tun würde. Die Kingfisher war zu weit draußen, um in einer Bucht Schutz suchen zu können, aber an Angelos Stelle hätte er bei den Iles d'Hyères Anker geworfen, – doch er bezweifelte, daß sein Widersacher das tun würde. Er kannte den Kapitän der Fiametta allmählich ganz gut – aus Serafinas Erzählungen und aus eigener Erfahrung. Angelo Guardi war unzweifelhaft ein gerissener Bursche – das verriet sowohl die Entführung von Serafina und ihrem Vater vor vielen Jahren, als auch seine Unternehmung in Zakynthos –, und er mußte außerdem über Charme und diplomatisches Geschick verfügen, denn sonst wäre es ihm nicht gelungen, sich mit dem venezianischen Gouverneur zu verbünden und – was weit schwieriger gewesen sein mußte – einem algerischen Korsaren ungestraft mitzuteilen, daß er das versprochene Zinn nicht liefern könne. Er hatte vor langer Zeit das Vertrauen von Franco Guardi gewonnen und Jehan de Coniques auf seine Seite gebracht. Er hatte das Kind Serafina bezaubert – und diese Verzauberung dauerte noch immer an.
Aber trotz seines unbestreitbar scharfen Verstandes handelte er zwischendurch geradezu erstaunlich dumm. Seine Großmannssucht hatte ihn dazu verleitet, das Guardi-Haus in Marseille zu einem provozierenden Prachtbau umzugestalten und die nicht minder aufwendige Fiametta zu bauen. In einer Stadt wie Marseille als Kaufmann seinen Reichtum zu betonen war ein schwerer Fehler gewesen, und bei der Fiametta Unsummen für die Verzierungen auszugeben und zu wenig für Baumaterial und gewissenhafte Arbeitskräfte zeigte, daß er, wie Serafina gesagt hatte, größten Wert darauf legte, den Schein zu wahren. Eine Maxime, die ihm eines Tages zum Verhängnis werden könnte. Und er wurde von Ehrgeiz zerfressen. Deshalb, dachte Thomas, als er eine weitere Karte ausrollte und die Ecken beschwerte, würde Angelo nicht die nächste Bucht ansteuern. Für ihn, Thomas, war dieses Wettrennen lediglich
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