Serafinas später Sieg
Anspannung, die es erforderte, sich als idealer Schwiegersohn zu präsentieren.
Er bereute seine Tat nicht im geringsten. Vorhin hatte er Jehans Zimmer durchsucht – und ganz hinten in einer Schreibtischschublade etwas gefunden, das sein Ende hätte bedeuten können: Franco Guardis echtes Testament! Zu seinem Ärger mußte er sich eingestehen, daß er den Notar unterschätzt hatte und daß die unerwartete Schlauheit des notorischen Säufers ihm eine gewisse Achtung abnötigte. Ein Segen, daß er den Mann aus dem Weg geräumt hatte, bevor dieser sich hatte entschließen können, ihn ans Messer zu liefern.
Im Laufe der Zeit hatte Constanza eine tiefe Abneigung gegen den Klang polternder Männerstiefel und klopfender Fäuste an ihrer Haustür entwickelt, aber diesmal konnte es nicht Galeazzo sein, denn der schlief im ersten Stock. Er war mittags zum Essen und Trinken und einem Schäferstündchen gekommen und schließlich, in jeder Hinsicht gesättigt, zufrieden eingeschlafen. Sie öffnete die Tür – und sah sich Thomas Marlowe gegenüber. Dem Staub auf seinen Kleidern nach zu urteilen, hatte er einen längeren Ritt hinter sich. Sie legte den Finger an die Lippen und ließ ihn ein.
»Galeazzo schläft oben«, flüsterte sie. Bei der Erwähnung des Namens verfinsterte sich Thomas' Gesicht. Er haßte den Mann, der Serafina in aller Öffentlichkeit verspottet hatte. Thomas liebte Serafina. In einer anderen Welt, mit einer anderen Vergangenheit, hätte Constanza vielleicht Thomas geliebt.
Sie führte ihn in den Salon, wo die schwache Herbstsonne durchs Fenster schien. Auf dem Tisch lag Flickwäsche: Ein Unterrock, dessen Rüschensaum abgerissen war, und ein Hut, dessen Band herunterhing. Sie goß Thomas Wein ein. Er leerte das Glas in einem Zug.
»Verzeihen Sie mir diesen Überfall«, entschuldigte er sich. »Es war gedankenlos von mir – ich hatte mir nicht überlegt, daß Sie Besuch haben könnten.«
Es lag kein Sarkasmus in dem Wort »Besuch«. Andere hätten eine andere Bezeichnung gewählt, dachte Constanza, als sie sich ihm gegenüber hinsetzte. »Kundschaft«, zum Beispiel. »Das macht nichts«, sagte sie. »Galeazzo schläft immer mindestens eine Stunde, und ich freue mich ehrlich, Sie zu sehen, Thomas.« Sie nahm den Hut und machte sich daran, das Band wieder an der Krempe zu befestigen: »Sie sehen müde aus.«
Er schnitt eine Grimasse. »Ich bin aus Florenz hergeritten – ohne anzuhalten. Ich wollte die Strecke so schnell wie möglich hinter mich bringen – aber jetzt«, er schüttelte den Kopf, »wage ich es nicht, die Reise zu beenden.«
Sie erriet, was er damit meinte. Am Ende jeder Reise von Thomas Marlowe stand Serafina. Irgend etwas war geschehen – etwas Schlimmes. Zu einer anderen Zeit hätte sie nachgefragt und gegebenenfalls ihren Beistand angeboten, doch im Moment war sie zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt.
»Sie sehen selbst müde aus, Constanza«, sagte Thomas. »Fühlen Sie sich nicht gut?«
Sie brachte ein Lächeln zustande. »Doch, doch. Es ist nur … Maria ist hier.« Plötzlich merkte sie, wie groß ihr Bedürfnis war, ihre Ängste mit jemandem zu teilen.
Thomas schaute sie verwundert an. »Ich hatte gedacht, Sie würden sich freuen, wenn sie heimkäme.«
»Ich freue mich ja«, antwortete sie hölzern. Zum ersten Mal seit Jahren hatte Constanza den Wunsch zu weinen. »Das heißt – ich würde mich freuen, wenn Galeazzo nicht wäre.« Sie sah ihm an, daß er nicht verstand. Wie sollte er auch? Er war ein anständiger Mann. Mit wütenden Stichen nähte sie das Band an Marias Hut. »Er hat sie gesehen, Thomas.«
Nach einem kurzen Schweigen stieß er einen Fluch aus, stand auf und trat ans Fenster. »Er will sie haben«, folgerte er angewidert.
»Natürlich will er sie haben.« Constanzas Augen waren ebenso hart wie seine. »Würde nicht jeder Mann sie haben wollen? Und Galeazzo hat eine besondere Vorliebe für junge Mädchen. Er heiratet sechzehnjährige Mädchen, die dann bei einer Niederkunft sterben. Er war ziemlich ärgerlich, als seine dritte Frau die Geburt ihrer Tochter überlebte. Er wird Maria nicht bekommen!« Sie starrte mit brennenden Augen vor sich hin. »Eher bringe ich ihn um! Aber was sollte aus Maria werden, wenn man ihre Mutter auf dem Marktplatz als Mörderin aufhängte?« Sie hatte viel mehr gesagt als beabsichtigt. Ihr Herz auszuschütten, das war eine Erfahrung, die ihr angst machte, als gäbe sie einen Teil von sich auf. Sie blinzelte die
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