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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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auffressen lassen.
    Der König der Bettler hatte den Grund für die schreckliche Armut genannt: die Kaufleute und feinen Herren, in deren prächtigen Häusern Überfluß herrschte. Sie erfüllten die Pflicht nicht, die Gott ihnen auferlegt hatte: den Armen Arbeit zu geben. Ihr Leben veränderte sich nicht durch schlechte Ernten oder Kälte oder Regen. Manchmal, wenn er vor einem der protzigen Paläste stand, verspürte Jules den Drang, an den Fenstergittern zu rütteln, bis die pompöse Fassade einstürzte.
    Umgeben von lärmender Betriebsamkeit, stand Thomas Marlowe im Hafen von Scanderoon. Er hatte die Fiametta von Livorno bis in die Levante verfolgt – um die Stiefelspitze Italiens, durch das Ionische und das Ägäische Meer, vorbei an Rhodos und Zypern –, lag manchmal ein paar Tage oder sogar eine Woche hinter ihr, sorgfältig darauf bedacht, außer Sicht zu bleiben. Diesmal legte Angelo nicht in Zakynthos an, um zwielichtige Geschäfte zu machen, sondern segelte geradewegs nach Scanderoon, auch bekannt als Alexandretta.
    Einen Tag nach der Fiametta legte die Kingfisher außer Sichtweite des französischen Schiffes an, denn der Kapitän würde die Galeone von Signora Capriani mit Sicherheit wiedererkennen. Thomas war sich durchaus bewußt, daß diese Verfolgung ihm nichts bringen würde. Er hätte Angelo mit bloßen Händen umbringen können und Genuß dabei empfunden, aber es gab Erinnerungen, die ihn daran hinderten: die weinende Serafina, ihr Verbot, Angelo zu töten, die Worte »Todo mangiado«. In ohnmächtigem Zorn starrte er zur Fiametta hinüber, deren verschwenderische Verzierungen im schwindenden Tageslicht glänzten.
    Jenseits der Docks summte der Hafen vor kosmopolitischer Geschäftigkeit. Scanderoon lag im Golf von Iskenderun und war ein von Sümpfen umgebenes Fieberloch, hinter dem das Amanus-Gebirge aufragte. Plumpe Kauffahrtschiffe aus dem Schwarzen Meer, stolze nordeuropäische Galeonen, schnittige Kajiks und Korsarengaleeren aus den nordafrikanischen Ländern gaben sich hier ein Stelldichein. Thomas' Blick blieb an einer der letzteren hängen. Viele von ihnen hatten einen Kranz blauer Perlen am Bug – gegen den bösen Blick –, aber diese trug dort einen gemalten Kranz aus blauen Blüten. Doch gleich darauf wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Fiametta zu. Er wollte den Mann sehen, der Serafinas Leben zerstört hatte und den sie trotzdem noch immer beschützte, den Mann, der es ihr unmöglich machte, einen anderen zu lieben, den Mann, dessen Platz in Serafinas Herzen er, Thomas, niemals würde einnehmen können. Sie hatte ein Kind von ihm, verdankte ihm das schönste Schiff im Mittelmeer und damit die Möglichkeit, ihr Geschäft zu erweitern, doch verglichen mit Angelo, verblaßte sowohl er als auch Francesco zur Bedeutungslosigkeit. Nichts hatte Bedeutung für sie, außer dem zerstörerischen Spiel, das sie mit ihrem Todfeind spielte.
    Und dennoch war Serafina der Grund dafür, daß er hier stand. Seit sie einander kannten, hatte sie ihn nur ausgenutzt. Zuerst hatte er ihr Verhalten nicht verstanden, doch als er erkannte, welche Rolle sie ihm zugedacht hatte, glaubte er, mit dem Wissen um ihre Gleichgültigkeit leben zu können. Aber seit er nach seinem Bericht über sein Scheitern in Florenz die Hoffnungslosigkeit in ihrem Gesicht gelesen und das Zittern ihrer Stimme gehört hatte – wissend, daß beides in ihrer Haßliebe zu ihrem Kusin begründet lag –, war er dessen nicht mehr sicher. Früher war er glücklich gewesen, wenn sie ihm gestattete, sich im gleichen Zimmer aufzuhalten oder ihr Bett zu teilen, wenn ihr gerade danach war. Jetzt jedoch fürchtete er, daß ihre Gleichgültigkeit ihn zerstören könnte, daß er seine Hoffnungen und Ziele verlöre, wenn er sich ihr weiterhin unterordnete – und dann wäre er nur noch Staub unter ihren hochhackigen, juwelenbesetzten Schuhen.
    Obwohl Scanderoon eine Moslemstadt war, gab es auch hier Lokale, in denen man Zerstreuung finden konnte. Als Angelo an diesem Abend die Fiametta verließ, sehnte er sich nach Entspannung. Er war der Ansicht, sie sich verdient zu haben. Ein Jahr hatte er sich am Rande des Abgrunds entlanglaviert – nun durfte er endlich aufatmen. Der Existenzkampf hatte seine Kraftreserven fast aufgezehrt. Angelo wanderte durch die hereinbrechende Dämmerung über den Fischmarkt. Die Händler waren längst fort, und die Pflastersteine noch immer gefährlich glitschig, und er mußte sehr aufpassen, um nicht

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