Serafinas später Sieg
wurden schneller, und Leilah paßte sich dem Tempo an, bog sich, den Oberkörper schüttelnd, immer weiter nach hinten, bis ihr Hinterkopf den Boden berührte und ihr Leib gespannt war wie der einer Schlange vor dem Zubeißen.
Angelo stand, wie noch einige andere Männer auf, spuckte auf eine Münze und legte sie der Tänzerin auf die Stirn. Bald waren Leilahs Stirn und Décolleté mit Münzen bedeckt, die an ihrer schweißfeuchten Haut klebten. Sie sah aus wie ein byzantinisches Goldmosaik. Ihre Haare waren wie ein Fächer ausgebreitet, ihre Augen und Lippen geschlossen, ihre Haut wirkte fast durchscheinend. Sie sieht aus wie eine Tote, dachte Angelo – wie eine Ertrunkene. Ein eisiger Schauer überlief ihn. Die Musik war verstummt, und ein Gefühl schrecklicher Leere ergriff von ihm Besitz. Als er zu dem Korsaren zurückkehrte, war er in kalten Schweiß gebadet.
»Trink, Bruder.« Hamid schob ihm die Karaffe hin. »Was ist mit dir – bist du einem Geist begegnet?«
Nur einer Erinnerung, dachte Angelo und goß sich mit zitternden Händen Wein in seinen Becher, an einen Narren und Trunkenbold. Und an ein zehnjähriges Mädchen, das ich in den Tod geschickt habe. Leilah sah aus, wie Serafina heute aussehen würde. Aber sie war am Fieber gestorben – als Sklavin im Hause eines Arztes in Oran. Das hatte Hamid ihm vor zehn Jahren berichtet. Gott war ihm zuvorgekommen. Angelo trank einen großen Schluck Wein.
Als eine männliche Tanzgruppe die Frauen ablöste, sagte der Korsar: »Deine Empfehlung, mir eine der Galeonen zu holen, ist verführerisch, aber wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen: Selbst mit deiner Hilfe hätte ich keine Chance gegen die drei englischen Galeonen.«
Angelo verfolgte die tänzerische Darbietung, als habe er, ebenso wie die Soldaten, eine Vorliebe für schöne Knaben. Die Jungen waren wie Mädchen angezogen, hatten lange Locken und wiegten und drehten sich zur Musik, während sie im Takt mit den Fingern schnippten. Die Soldaten grölten Beifall und schlugen mit den Fäusten auf den Tisch. Der Fremde neben Hamid hatte den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt und schlief den Schlaf des sinnlos Betrunkenen. Angelo mußte Hamid zustimmen: Es wäre Selbstmord, bei einem so ungleichen Kräfteverhältnis einen Angriff zu wagen. Es erschreckte ihn, daß sein Wunsch, sich an den Engländern zu rächen, seine Urteilsfähigkeit getrübt hatte. Das Geheimnis seines Erfolges war stets seine Kaltblütigkeit gewesen. Natürlich waren seine Intelligenz, sein Charme und sein gutes Aussehen ebenfalls wichtig, doch es war seine Fähigkeit, unbeeinflußt von Gefühlen zu handeln, die ihn in die Lage versetzte, seine Pläne verwirklichen zu können. »Du hast recht«, nickte er. »Aber es kann nicht schaden, sich auf die Lauer zu legen. Vielleicht verliert die Garland den Anschluß an die beiden anderen – beispielsweise in einem Unwetter. Mit ihr allein hätten wir leichtes Spiel.« Der Tanz war zu Ende. Der Korsar winkte einen der Jungen zu sich. Er hatte ein hübsches Gesicht, zarte, olivgetönte Haut und war etwa zehn Jahre alt. Hamid umschloß die beringten Finger des Kindes mit der Hand und wandte sich an Angelo: »Und du, Bruder?«
Angelo verstand sofort, was er meinte. Die anderen jungen standen noch auf der Tanzfläche – mit stereotypem Lächeln und schweißglänzenden Gesichtern. Die Mädchen saßen inmitten ihrer sich um sie bauschenden, leuchtenden Gewänder auf dem Boden. Angelos Blick streifte die Frau, der er die Goldmünze auf die Stirn gelegt hatte, und blieb dann an den Zwillingen neben ihr hängen. Die Mädchen waren klein, dunkelhaarig und selbstbewußt – wie Serafina früher. Er beantwortete Hamids Frage mit einem Nicken in ihre Richtung.
»Welche?« fragte der Korsar grinsend.
»Beide«, erklärte Angelo und stand auf.
Kaum waren Angelo und der Korsar mit ihren Auserwählten hinter dem Vorhang verschwunden, der den Weg zu den Hinterzimmern verbarg, richtete sich der Europäer an ihrem Tisch auf – hellwach und nüchtern. Hätte der Franzose den Ausdruck in den leuchtend blauen Augen gesehen, wäre ihm jegliche Lust auf seine beiden Gespielinnen vergangen, doch so gab er sich ahnungslos den sinnlichen Genüssen hin, die ihm die Mädchen bescherten, während Thomas Marlowe mit großen Schritten dem Hafen entgegenstrebte.
Am nächsten Morgen brach der englische Steuermann nach Aleppo auf.
Serafina war froh gewesen, Thomas verabschieden zu können – so konnte sie ungestört
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