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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Ernsthaft erwogen, George.«
    Dorringtons Augen blitzten interessiert auf. Er wischte sich die klebrigen Finger an dem feuchten Tuch ab, das der Diener ihm reichte. »Für den Handel mit Ostindien?« fragte er.
    Whitlock nickte. »Das Monopol der Levant Company wurde bereits 1592 auf die Indies ausgedehnt, es wird Zeit, eine Tochterfirma zu gründen, die sich um die Belange des neuen Handelszweiges kümmert.«
    »Das leuchtet ein, aber es wäre mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen.«
    Die Sonne war untergegangen, und es wurde empfindlich kalt im Raum. John Keane wünschte, er hätte sein Cape beim Eintreten nicht abgegeben. »Was für Schwierigkeiten?« Er rieb sich die Hände, um sie zu wärmen.
    »Nicht einmal der Sultan kann die Sicherheit garantieren. Da kann man bestechen und drohen, soviel man will – Städte wie Basra, Bagdad und auch Aleppo sind unberechenbar. Und dann muß man ständig mit Überfällen der Wüstenräuber rechnen, die einen ohne einen Faden am Leib zurücklassen, wenn man Glück hat. Die großen Karawanen können sich schützen, aber jede kleine Gruppe von Europäern ist leichte Beute.«
    »Die Bewohner Ostindiens sind merkwürdige Leute«, sagte Whitlock. »Sie halten es für eine Sünde, eine Fliege zu töten, aber von den Frauen wird verlangt, daß sie sich bei der Einäscherung ihrer Männer selbst verbrennen.«
    Ein kurzes Schweigen folgte, das George Dorrington brach. »Pfeffer, Ingwer, Muskat und Kampfer, Moschus, Bernstein, Rubine, Saphire, Spinelle und Diamanten – Fitch hat das alles gesehen«, sagte er andächtig.
    Die Gesichter der vier Männer drückten übereinstimmend eine Mischung aus Hoffnung, Sorge und Faszination aus. John Keane riß sich und die anderen aus den Träumereien. »Wie auch immer –im Augenblick müssen wir uns mit der Gegenwart befassen. Sind die Seidenkarawanen schon eingetroffen, George?«
    In Europa herrschte Hungersnot. Der Regen – dreimal soviel wie früher, wie es schien – zerschlug seit Jahren das junge Korn und belegte die sprießende Saat mit Fäulnis und Pilzbefall. Auch der letzten Mißernte war ein harter Winter gefolgt. Scharfe Winde jagten über das Land und fuhren durch die Ritzen der undichten Elendsquartiere. In den Städten lungerten allenthalben Horden von Vagabunden herum, unter den zerlumpten Kleidern der Kinder zeichneten sich ihre aufgedunsenen Bäuche ab, die Erwachsenen waren bis auf die Knochen abgemagert. Sie strömten aufs Land hinaus und stopften sich alles in den Mund, was sie fanden. Manche starben, wenn ihr Magen nicht verarbeiten konnte, wovon sich eigentlich die Tiere ernährten. Sie begannen Aas zu essen, bereiteten sich Festmahle aus verendeten Pferden, Eseln und Rindern. Schließlich wurden sie zu Kannibalen. In den Straßen wimmelte es von Menschen, die Hunger hatten und keine Arbeit.
    In Marseille erkannte der Bettler Jules Crau, der geglaubt hatte, bereits die schlimmste Stufe der Armut erreicht zu haben, daß es noch eine Steigerung gab. Wenn er sich in der Stadt umschaute, schien es ihm, als erfülle sich die Prophezeiung des Wahrsagers, die er auf einem Marktplatz gehört hatte, vor seinen Augen: Die Welt steuerte auf ihren Untergang zu. Er hatte zwar noch keine Seeungeheuer aus dem Meer auftauchen und »Die Wilde Jagd« noch nicht über den Himmel jagen sehen, doch die anderen Dinge, die er sah, genügten, um ihn zu überzeugen, daß die Worte des Wahrsagers der Wahrheit entsprachen. Er hatte das Geld, das ihm – davon war er überzeugt – seine tote Frau geschenkt hatte, so lange gestreckt wie möglich. In jenen guten Wochen hatte sich Isabelles Gesundheit stabilisiert. Die Schrunden an ihrem Mund heilten ab, ein rosiger Schimmer überhauchte ihre Wangen, und sie begann wieder zu sprechen und Anteil an dem zu nehmen, was um sie herum vorging. Jules fühlte sich, als sei er aus einem Meer der Verzweiflung gerettet worden und spüre endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Doch die Hochstimmung war nicht von Dauer, als der Goldschatz aufgebraucht war, brach das Elend erneut über sie herein.
    Isabelle lag, mit mehreren Lumpenschichten zugedeckt, auf ihrem Strohbett. Als Jules sich über sie beugte und ihr zart über den Kopf streichelte, bemerkte er, daß ihre Finger weiß vor Kälte und ihre Lippen aufgesprungen und voller Blasen waren. Sie schlief jetzt fast nur noch, und Jules fürchtete, daß sie eines nicht fernen Tages überhaupt nicht mehr aufwachen würde. Dann würde er hinauslaufen und sich

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