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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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entspannte er sich wieder. Eine Bluttat würde die Lage nicht verbessern.
    Wellen brandeten gegen den Schiffsrumpf, in der Ferne leuchtete die Berber-Küste verheißungsvoll wie das Schlaraffenland. William Williams, der neben Thomas stand, murmelte: »Jesus Christus!« und bekreuzigte sich. Der Kapitän war auf die Knie gesunken und hatte den Kopf zum Gebet gesenkt. Thomas überquerte das Deck und fragte mit beißender Höflichkeit: »Sollen wir den Hauptmast kappen, Sir?«
    George Goodlays Augen fanden nur mühsam ihr Ziel. Schwankend kam er auf die Füße. »Meine Schuld«, stammelte er. »Gott, vergib mir …«
    Thomas fühlte Mitleid mit diesem unfähigen Häufchen Elend in sich aufsteigen, doch es wurde im Keim erstickt, als der Mann fortfuhr: »Nein, Mr. Marlowe, wir werden den Hauptmast nicht kappen. Wir werden das Rettungsboot zu Wasser lassen.«
    Thomas biß die Zähne so fest zusammen, daß sie schmerzten. Dann brachte er mühsam beherrscht hervor: »Das Schiff wird kentern, Sir. Mit den Masten und den Segeln ist es zu topplastig. In dem Boot ist nur Platz für etwa achtzehn …«
    Aus dem Bauch des Schiffes schollen Rufe herauf. »Wir nehmen Wasser auf!« schrie jemand. Thomas hielt die Zeit für gekommen, eigenmächtig zu handeln. Gemeinsam mit anderen Besatzungsmitgliedern stützte er den Hauptmast ab, als der Schiffszimmermann die Säge ansetzte. Zu spät, zu spät! echote es im Rhythmus der herantosenden Brecher und dem Scharren der Säge durch Thomas' Kopf. Und er hatte recht. Als sie den Mast auf das Deck herunterließen, begann der Rumpf unter der Doppelbelastung des Wassers innen und von außen auseinanderzubrechen.
    Plötzlich fand Thomas sich oben in der Takelage des Vormasts wieder. Auch viele der anderen Seeleute hingen dort. Andere, die auf dem Achterdeck in der Falle gesessen hatten, kämpften in den Fluten um ihr Leben. Mächtige grünliche Brecher krachten über den Bug. Thomas schätzte, daß die Küste etwa eine halbe Meile entfernt lag. Irgend jemand intonierte den zwölften Psalm. »Lieber Gott, hilf diesen frommen Männern«, murmelte Thomas, als er sich sein Messer in den Gürtel steckte und den Filzhut ins Hemd stopfte. Und es brach das völlige Chaos aus, als der Vormast durch das Gewicht der Männer und die Wucht der Wellen umstürzte und die Männer ins Wasser geschleudert wurden.
    Wenn es stimmt, daß an Ertrinkenden ihr ganzes Leben vorbeizieht, dann hätte Thomas Marlowe Greenwich, die Docks und das Meer gesehen; die Jahre in der Schule, die ihn über seine mittelständische Herkunft hinaushoben und einen Steuermann aus ihm werden ließen anstatt eines Bootsmannes; die hübschen Mädchen verschiedener Hautfarben und Temperamente, die sein Leben seit seinem fünfzehnten Lebensjahr bereichert hatten; seine gewinnbringenden letzten Jahre, in denen er für die Levant Company fuhr; aber vor allem das Schiff-sein Schiff, das bislang nur in seinem Kopf existierte, das zu bauen er sich jedoch fest vorgenommen hatte.
    Später glaubte er, daß die Gedanken an sein Schiff ihm die Kraft gegeben hatten, sich aus dem nassen grünen Kerker zu befreien. Wie auch immer – jedenfalls durchstieß sein Kopf irgendwann die Wasseroberfläche, seine Lungen füllten sich mit Luft, und seine muskulösen Arme begannen, ihn mit kräftigen Bewegungen der Küste näher zu bringen. Das Meer tat ein übriges. Vor jedem Wellenkamm holte Thomas tief Luft, tauchte ab und wieder auf… Und dann schabten seine Knie über Sand, und eine Welle warf ihn auf den Strand.
    Als er wieder zu sich kam, wußte er nicht, ob er bewußtlos gewesen war oder nur den tiefen Schlaf der totalen Erschöpfung geschlafen hatte. Seine erste Empfindung war ein schwaches Triumphgefühl. Er hatte den Kampf gegen den Tod gewonnen!
    Die Sonne schien auf seinen ungeschützten Körper herunter, klebte seine schwarzen Locken zu einer salzverkrusteten Masse zusammen und verbrannte die Haut in seinem Nacken. Mühsam rollte er sich auf den Rücken. Seine Glieder waren kraftlos und zitterten wie im Fieber. Thomas legte einen Arm über die Augen und zog mit der anderen Hand den durchweichten Filzhut aus seinem Hemd.
    Erst lange Zeit später schaffte er es, sich aufzusetzen. Er schirmte die Augen mit der Hand ab und schaute aufs Meer hinaus. Wo war die Toby geblieben? Er war leewärts abgetrieben und in eine kleine Felsenbucht gespült worden. Und dann entdeckte er das Schiff. Der Rumpf war durch den Druck des angeschwemmten Sandes zerquetscht

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