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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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schoß es ihm durch den Kopf, obwohl er natürlich wußte, daß dies, weiß Gott, keine Gegend für Eisvögel war. Plötzlich erschien ein Schiff vor seinem geistigen Auge – sein Schiff. Die Masten zeichneten sich scharf gegen den Mittelmeerhimmel ab, am Bug glänzte golden der Namenszug: Kingfisher. (Eisvogel, A. d. Ü.) Die blauen Segel blähten sich im Wind, schnittig und graziös wie ihr Namensvetter flog sie über das Wasser. »Ich taufe dich auf den Namen Kingfisher !« rief Thomas den Moskitos und dem weiten und afrikanischen Himmel zu.
    Am folgenden Tag verstärkte sich der Verdacht in ihm, daß er einem Feind zugunsten eines weit gefährlicheren entflohen war. Bisher war er auf keine menschliche Ansiedlung gestoßen, und sein Wasservorrat ging zur Neige. Das Gelände wurde immer unwirtlicher. Die Berge verhießen erfrischende Kühle, doch er schien ihnen nicht näher zu kommen. Sein erschöpfter Verstand gaukelte ihm eiskalte Wasserfälle und schattige Haine vor. Als er in dem dürftigen Schatten eines Felsens Rast machte und die Augen schloß, spürte er die Gischt herabstürzender Wassermassen auf seinem Gesicht und hörte Blätter rascheln, doch als er aufwachte, war da wieder nur die quälende Hitze und neben ihm ein Nest mit kleinen Schlangen, die wie er Schutz vor der unbarmherzigen Sonne suchten. Seine Lippen waren aufgesprungen, die Lider geschwollen und voller Blasen. Das Gewicht des goldgefütterten Wamses erschien ihm schwerer als die Lasten, die die Berber ihm aufgebürdet hatten. Es drückte ihn nieder, verlangsamte seine Schritte.
    Thomas verlor jedes Zeitgefühl. Er ging eine Weile, rastete eine Weile-mechanisch, ohne nachzudenken, ohne Plan. Jeder Knochen, jeder Muskel schmerzte. Das Bedürfnis nach Wasser wurde übermächtig. Er hatte seine Wasserflasche in einem schlammigen Rinnsal aufgefüllt, aber jetzt waren nur noch ein paar Schlucke übrig. Seit Tagen hatte er nichts gegessen, doch er empfand keinen Hunger mehr. Er wollte nur Wasser – eiskaltes, kristallklares Wasser. Aber um ihn herum war nur Wüste, endlos rollende Dünen, zwischen denen sich scharfkantige Felsen erhoben. Die Trockenheit der Luft, der Sand und der gnadenlos blaue Himmel peinigten ihn.
    Irgendwann konnte er nicht mehr weiter. Nirgends ein grüner Schimmer, kein Tropfen Wasser. Himmel und Sand wechselten von blendender Helligkeit zu samtiger Nachtschwärze und wieder zu gleißendem Strahlen. Ein paar Fliegen flogen auf, als Thomas in einen schattigen Spalt zwischen Felsen und Wüste kroch. Das Gewicht seines Wamses machte ihm das Atmen schwer, doch er brachte nicht die Kraft auf, es auszuziehen. Er schloß die Augen.
    Thomas dachte an seine Familie, seine Eltern, die vor vielen Jahren an der Pest gestorben waren, an seinen älteren Bruder, der die Vernunft besessen hatte, sich etwas Geld zu sparen und in Southwark ein Wirtshaus zu kaufen. Robert würde nicht in einer fremden Wüste sterben, denn Robert war weder dickköpfig noch von der See besessen. Thomas dachte an Faith mit den rostroten Haaren und der cremeweißen, sommersprossigen Haut. Er mochte unkomplizierte Frauen. Er dachte an die Seereisen, die er in den letzten zehn Jahren gemacht hatte – und an die verdammte Toby. Und dann stand er am Steuer der Kingfisher und lenkte sie durch einen Gischtnebel dem Paradies entgegen.
    Die Sterne, Kristalltropfen auf schwarzem Samt, kündigten eine Veränderung an. Eine Entscheidung. Das Ende der Zufriedenheit.
    Später, im Haus, dachte der Arzt über das Wesen der Zufriedenheit nach. Glück war zerbrechlich – er hatte es im Laufe seines Lebens oft gefunden und verloren –, doch Zufriedenheit war ein etwas dauerhafterer Zustand. Sie kam mit dem Alter – mit dem Verlust der Erwartungen, mit der Akzeptanz der eigenen Grenzen. Jetzt brauchte er seine Medikamente nicht mehr für sich selbst – abgesehen von denjenigen, die gegen Schmerzen wirkten oder ihm das Schlafen ermöglichten. Er würde sich nicht gegen den Tod wehren, er fürchtete ihn nicht. Er hatte seine Nationalität und seine Religion geändert, eine Identität aufgegeben und eine andere erworben, aber etwas in seinem Leben hatte Beständigkeit gehabt und ihm immer Halt gegeben – sein Beruf und sein Wissensdurst. Doch all seine Kunst hatte ihm in den entscheidenden Augenblicken nicht weitergeholfen. Er mußte seine geliebte Frau begraben und verlor seine Tochter. Lange war er einsam gewesen, aber dann hatte das Schicksal ihm eine neue Tochter

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