Serafinas später Sieg
zugeführt: Serafina. Der Name befremdete den Arzt beinahe – zu lange schon war sie Badr-al-Dujja für ihn. Manchmal vergaß er sogar, daß sein leibliches Kind, das diesen Namen getragen hatte, unter den Eukalyptusbäumen im Garten begraben lag. Serafina sah ebenso arabisch aus, wie seine Mischlingstochter es getan hatte: dunkles Haar, dunkle Augen. Es schien, als sei ihm sein Kind genommen und zehn Jahre später auf dem Sklavenmarkt von Algier wiedergegeben worden.
Doch an diesem Abend spürte Kara Ali – obwohl er für gewöhnlich eine tiefe Zufriedenheit empfand, wenn er sie dabei beobachtete, wenn sie für ihn schrieb – einen Anflug von Unbehagen. Sie war kein Kind mehr, sondern eine junge Frau von sechzehn Jahren. Er musterte das Mädchen, das ihm gegenüber mit gesenktem Kopf über einer Schreibarbeit saß. Sie war klein für ihr Alter, hatte jedoch eine sehr hübsche Figur. Ihre Bewegungen waren flink und graziös wie die eines Vogels. Oft geschah es, daß er sich umdrehte und feststellte, daß sie hinter ihn getreten war, ohne daß er mehr als einen leichten Luftzug gespürt hatte. Nach sechs Jahren an der Berber-Küste hatte ihre Haut einen satten Olivton bekommen. Ihr Benehmen war so tadellos, wie ein Vater es sich nur wünschen konnte. Warum fühlte er sich unbehaglich? Weil die Veränderung, die Entscheidung, die die Sterne ankündigten, Badr-al-Dujja betrafen – nein, Serafina?
»Papa?« Sie schaute ihn mit hochgezogenen Brauen an. Der Federkiel schwebte über dem Papier.
Kara Ali spürte ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust, doch er ließ sich nichts anmerken. Veränderung, Entscheidung, das Ende der Zufriedenheit. Nichts davon galt für ihn, es ging um dieses Kind, das Allah ihm geschenkt hatte. Seit damals der türkische Soldat nach Serafina gefragt hatte, waren keine Überraschungsbesuche mehr erfolgt, doch er hatte sie stets versteckt gehalten und niemals erlaubt, daß sie ihn nach Algier begleitete, was ihr nichts auszumachen schien. Doch ein Gedanke beunruhigte ihn: Wie könnte er einen Ehemann für eine Frau finden, deren Existenz ein Geheimnis bleiben sollte? Einem Durchreisenden könnte er sie als Badr-al-Dujja vorstellen, aber jede nähere Bekanntschaft würde die Gefahr bergen, daß der Betrug aufflöge.
Das Feuer in den Öfen war fast erloschen. Er konnte nicht mehr selber nachlegen, doch er wollte nicht nach Hassan schicken. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Es ist spät, Kleines. Geh zu Bett!«
Sie wischte den Federkiel ab, schloß das Tintenfaß und streute Sand über das Geschriebene. Ihre Züge waren edel und klar, aber ihre Augen verbargen ihre Gefühle. Nicht einmal ihm hatte sie jemals offenbart, was in ihr vorging. Auch er hatte seine Geheimnisse. Er berührte sanft ihre Hand, als sie vorbeiging, und lauschte auf ihre leichten Schritte, mit denen sie den Innenhof durchquerte. Er mußte sie ihre Wahl treffen lassen, bevor seine angegriffene Gesundheit einen Strich durch diese Rechnung machte. Um eine Entscheidung treffen zu können, müßte sie die Wahrheit erfahren. Er hatte zu lange Gott gespielt. Auf die Sterne war Verlaß, bald würde er wissen, wann er sprechen und was er sagen sollte.
Thomas befand sich auf seinem Schiff. Die Vorkommnisse der vergangenen Wochen konnten nur ein Traum gewesen sein, denn er spürte das Rollen der Wellen – auf und nieder, auf und nieder –, festgezurrt in einer unbequemen Hängematte.
Eine Weile glitt Thomas von einer Ohnmacht in die nächste, und wenn er glaubte, wach zu sein, war er überzeugt, auf See zu sein. Es war herrlich. Wasser tropfte in seinen Mund, etwas kühlte seine geschundene Haut, doch die Geräusche stimmten nicht, er hörte keine Masten knarren, keine Segel flattern und keine Männerschritte auf hölzernen Deckplanken. Und dann dieser aufdringliche Geruch! Er konnte ihn nicht einordnen, aber es war weder der Geruch von Pech noch von Salzluft.
Irgendwann hörten die rollenden Bewegungen auf. Thomas wurde aus der Hängematte gehoben, und dann folgte das Erlebnis, das er in den vergangenen Tagen immer wieder herbeigesehnt hatte – eiskaltes Wasser floß in seinen Mund. Doch diesmal war es zuviel, er spuckte und würgte und öffnete die Augen.
Nur ganz allmählich nahm die Welt Konturen an, und schließlich erkannte er, daß er sich im Himmel befand. Nicht nur gab es Wasser – es saß auch die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte, neben ihm. Sie trug keinen Schleier, und so hatte Thomas Gelegenheit, die
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