Serafinas später Sieg
Angst vor ihr hatten, sondern, weil sie eine Autorität ausstrahlte, die das Gehorchen zu einer Selbstverständlichkeit machte.
Wenn der Kaufmann Waren begutachtete, die von den Schiffen abgeladen oder in Werkstätten weiterverarbeitet wurden, begleitete Serafina ihn. Manchmal jedoch ging sie auch allein auf Märkte und ließ den Kaufmann in einem Sessel in der fliegensummenden Hitze dösen.
In Lucca sprachen Jacopo Capriani und Serafina in den vornehmsten Palazzi vor. Während der Kaufmann mit den Kunden die Preise aushandelte, präsentierte Serafina Bänder, Borten, Seide und Kokarden und notierte die Bestellungen. In der luxuriösen Halle des Palazzos, der dem Bankier Galeazzo Merli gehörte, schimmerte das satte Ocker, Purpur- und Scharlachrot der Möbelbezüge und schweren Vorhänge in der Nachmittagssonne. Kein Lüftchen drang durch die geöffneten Fenster herein. Obwohl der Kaufmann in diesem Jahr nicht seine übliche Rundreise machte, hatte er bereits beträchtliche Gewinne erzielt. Die Kunden begrüßten die größere Auswahl, die leuchtenderen Farben, die edlen Stoffe und die bessere Qualität der Waren. Während Serafina das Angebot entsprechend arrangierte, versuchte sie, ihre Übelkeit niederzukämpfen. Sie war immer ehrlich zu sich selbst und wußte, daß dieses Unwohlsein weder auf einen herannahenden Anfall von Sumpffieber hindeutete noch von einer Magenverstimmung herrührte: Ihr war schlecht, weil sie Angst hatte. Sie, die von Korsaren. verschleppt und auf einem Sklavenmarkt verkauft worden war und mit einem Fischerboot das Meer überquert hatte, fürchtete sich vor dem, was vor ihr lag. Nicht etwa, weil sie Skrupel hatte, sondern weil sie nicht wußte, ob es klappen würde.
Ihr Blick wanderte rastlos durch den Raum – zu den Kandelabern, den geschnitzten Truhen mit den Einlegearbeiten auf den Deckeln, den kostbaren Teppichen auf dem polierten Fußboden. Jenseits der Fenster lag Signor Merlis gepflegter Garten still in der flirrenden Hitze. Als Serafina die Seide glattstrich, zitterten ihre Hände. Ihre Haut war mit einem Film kalten Schweißes bedeckt. Zum wiederholten Male ermahnte sie sich, nicht so kindisch zu sein. Sie hatte sich nicht gefürchtet, als sie ihre Jungfräulichkeit an den Engländer verlor, sie hatte sich nicht gefürchtet, als sie den Kaufmann in ihr Bett holte – warum schlug ihr Herz jetzt, da sie nur ein wenig schauspielern müßte, wie ein Hammer gegen ihre Rippen, warum verkrampfte sich ihr Magen so schmerzhaft?
Signora Merli, Galeazzos Frau, hatte bereits an diesem Vormittag ihre Wahl aus Jacopo Caprianis Angebot getroffen. Sie war jünger als Serafina – dunkelhaarig, unscheinbar und dicklich. Ihre Zofe, deren Gestalt und Miene Serafina an Marthe erinnerten, war nicht von der Seite ihrer Herrin gewichen. Die junge Signora hatte gemusterte Seide und einige der scharlachroten Bänder gekauft, die viel Anklang fanden. Signor Merli, doppelt so alt wie seine Frau, war nicht dabeigewesen, doch jetzt, da seine Mätresse Constanza gekommen war, hatte er sich zu dieser gesellt.
Serafina zog sich diskret zum Fenster zurück und versuchte, ihr flatterndes Herz zu beruhigen, während sie die Kurtisane verstohlen durch die gesenkten Lider betrachtete. Sie war zwischen dreißig und vierzig Jahre alt – keine ausgesprochene Schönheit, doch ihre klaren Züge verrieten Durchsetzungsvermögen, sie strahlte eine Ruhe aus, die Signor Merlis Kindfrau fehlte, und bewegte sich mit Würde. In ihren Augen tanzten spöttische Lichter. Constanza war, wie Jacopo Capriani Serafina zugeflüstert hatte, eine gebürtige Venezianerin, die jedoch bereits seit zwanzig Jahren höchst profitabel in Lucca lebte.
»Meine Liebe«, Galeazzo Merli führte seine Kurtisane zu dem Tisch, auf dem die Waren ausgebreitet waren. Der Kaufmann hielt sich im Hintergrund, doch Serafina wußte, ohne ihn anzuschauen, daß sein Blick ebenso hungrig über ihr Gesicht und ihren Körper glitt wie der des Bankiers.
Sie hatte dem alten Mann die Illusion von Jugendlichkeit und sinnlichem Genuß geschenkt, ihm diese Vergünstigungen in letzter Zeit aber unauffällig wieder entzogen. Schon seit über einer Woche hatte sie nicht mehr mit ihm geschlafen. Die Reise, die es mit sich brachte, daß man in fremder Umgebung übernachten mußte, hatte eine derartige Intimität nicht gestattet. Natürlich hätten sich diese Schwierigkeiten durch entsprechende Arrangements aus dem Weg räumen lassen, doch Serafina sorgte dafür, von
Weitere Kostenlose Bücher