Seraphim
ihrem Besten!«
Richard packte Zeuners Gewand, aber ein Büttel mit struppigem Haar, der ganz in der Nähe stand, legte warnend eine Hand an den Schwertgriff. Langsam ließ Richard den Bürgermeister los. »Was habt Ihr vor?«, fragte er. Seine Stimme klang heiser.
»Es hat einen zweiten Mord gegeben, und ich fürchte, er wird sie nur noch verdächtiger machen. Außerdem haben wir die Inquisition in der Stadt. Ich musste dafür sorgen, dass der Rat Frau Jacob so schnell wie möglich freispricht!«
»Und dafür lasst Ihr sie auf dem Henkerskarren quer durch die ganze Stadt zum Rabenstein bringen?« Richard sah, wie der Zug das gegenüberliegende Ende des Großen Marktes erreichte.
»Die Ratsherren sind beunruhigt wegen dieser rätselhaften Mordfälle. Und ich hege den Verdacht, dass dadurch etliche von ihnen in ihrem Hexenglauben bestärkt werden. Die Männer befürchten einen Aufruhr, nur darum konnte ich sie dazu bringen, diesem Transport zuzustimmen. Ich habe ihnen gesagt, dass Frau Jacob so schnell wie möglich verhört werden muss, wenn wir wieder Ruhe indie Stadt bekommen wollen. Kennt Ihr das Verfahren bei einem peinlichen Verhör?«
In Richards Ohren begann es zu rauschen. Ein peinliches Verhör. Folter! Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Zeuner sprach schon weiter.
»Bevor es wirklich zu einer Folter kommt, muss der Angeklagte damit bedroht werden. Ihm wird in allen Einzelheiten beschrieben, was ihm bevorsteht, und in vielen Fällen reicht das schon für ein Geständnis aus. Ich konnte die Ratsherren davon überzeugen, dass Frau Jacob schnell gestehen wird, wenn sie nicht nur von den Möglichkeiten des Henkers hört .«
»Ihr wollt sie zusehen lassen, wie man Gunther hinrichtet?« Mit Macht kämpfte Richard gegen den Schmerz, der hinten in seinem Kopf wütete.
Zeuner blickte zu dem Karren, der in diesem Moment in der Gasse verschwand. »Ich muss hinterher«, sagte er.
»Aber was dann?«, hielt Richard ihn auf. »Was, wenn sie wirklich gesteht, eine Hexe zu sein? Was wollt Ihr dann tun?«
Zeuner schien nicht gewillt, ihm diese Frage zu beantworten. Er warf dem Büttel einen scharfen Blick zu. »Sorgt dafür, dass mich dieser Mann nicht länger belästigt!«, befahl er.
16. Kapitel
Der Zug nahm seinen Weg nach Süden über die Fleischbrücke und bog dann links ab, um in gerader Linie an St. Lorenz und am Kartäuserkloster vorbei zur Stadtmauer zu gelangen. Unterwegs wuchs er immer mehr an, bis er schließlich aus mindestens dreihundert Menschen bestand.
Die Sonne schickte ihre Strahlen durch die nach Osten führenden Gassen. Katharina hielt den Kopf gesenkt, damit sie möglichst wenig Menschen erkannten. Die Scham darüber, auf dem Henkerskarren transportiert zu werden, ließ ihr Gesicht brennen und ihr Herz unruhig stolpern. Immer wieder versuchte Sebald aus ihr herauszubekommen, was hier geschah, aber sie hielt sich an das Versprechen, das sie Zeuner gegeben hatte, und schwieg eisern.
Sie selbst hatte es ja auch nicht begriffen. Nachdem er ihr eröffnet hatte, was er plante, war er sehr geheimnisvoll geworden; auf ihre Frage, was passiere würde, wenn sie nach der Hinrichtung tatsächlich gestand, eine Hexe zu sein, hatte er nur geantwortet: »Warten wir es ab. So weit muss es vielleicht nicht kommen.« Mehr hatte sie nicht aus ihm herausgebracht.
Jetzt, da sie quer durch die Stadt zum Richtplatz gefahren wurde, war sie gleichzeitig hellwach und völlig abwesend. Die Gedanken rasten in ihrem Geist, doch es gelang ihr nicht, auch nur einen davon zu fassen zu bekommen.
Vor dem Frauentor kam der Zug ins Stocken, passierte die innere Durchfahrt, wandte sich nach rechts und durchquerte den Hof, um durch das äußere Tor auf die hölzerne Brücke hinauszugelangen, die über den Stadtgraben führte. Das Klappern der Pferdehufe und das Knirschen der Karrenräder klangen dumpf auf den dicken Bohlen. Von oben, aus einem Fenster im Torhaus, blickten zwei Soldaten auf den Zug nieder.
Vor dem Frauentor wurde angehalten, und die beiden Priester sprachen ein paar Gebete über Joachim Gunther. Er ließ sie mit gleichmütiger Miene über sich ergehen.
Inzwischen war es völlig hell, und es wurde nun rasch warm.
Katharina klammerte sich an den Holm, an dem sie festgebunden war.
Felder durchzogen das Gelände vor der Stadt, auf denen das Korn hoch und gelb stand. Links des Weges wurde an einer Scheune gebaut. Balken und Ziegelwerk lagen säuberlich gestapelt da, aber von den Zimmerleuten und
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