Seraphim
die auf alle Fälle vermeiden wollen, dass die Inquisition ihre Finger nach den Hexenfällen ausstreckt. Darum war ich zuversichtlich, dass ich die hohen Herren dazu bringen kann, Euch trotz Hogers Aussage freizusprechen.«
Langsam fielen die einzelnen Teile dieses Mosaiks an die richtigen Stellen. »Aber jetzt ist Euch Hogers Tod in die Quere gekommen«, vermutete Katharina.
»Er ist der zweite Tote, und auch er steht mit Euch in Verbindung! Sein Tod lässt Euch in den Augen der Männer dort oben im Saal aufs Äußerste verdächtig wirken.«
»Ich war hier unten eingesperrt!«, begehrte Katharina auf. »Ich konnte Hoger gar nicht töten!« Aufmerksam forschte sie in Zeuners Gesicht, ob er noch immer auf ihrer Seite war, aber es war zu dunkel in der Zelle, um es genau zu erkennen. Seine durchdringenden Augen ruhten im Schatten seiner Haare, um seinen Mund lag ein bitterer Zug.
»Ihr seid der Zauberei angeklagt, vergesst das nicht«, sagte Zeuner. »Für eine Hexe, so denken die meisten, ist es ein Leichtes, durch eine Ritze in der Tür zu entkommen.« Er formte die Hand zu einer Art Flügel und machte damit eine flatternde Bewegung.
Katharina biss sich auf die Unterlippe. Ihr war nun gleichzeitig heiß und kalt. »Und Ihr?«, hauchte sie. »Denkt Ihr auch, dass ich es war?«
»Ich bin nach wie vor auf Eurer Seite. Das müsste Euch mein Hiersein doch sagen. Es gibt übrigens etwas, das Ihr wissen solltet: Dieser Faro Jorges, den wir gefangengenommen haben, scheint dabei zu sein, seinen Verstand wiederzuerlangen. Er hat in der Nacht jedenfalls aufgehört, wirr zu reden. Es besteht Grund zu der Hoffnung, dass wir bald mehr über diesen Mord wissen. Vielleicht allerdings braucht Ihr das gar nicht mehr.«
Katharina versuchte Freude darüber zu empfinden, dass es Faro offensichtlich besser ging, aber sie war zu sehr in ihre Angst verstrickt. »Wie meint Ihr das?«, fragte sie.
»Ich habe einen Weg gefunden, Euch zu retten, egal, was mit Jorges geschieht. Hört her!« Zeuner beugte sich über Katharina, und als hätten die Wände Ohren, flüsterte er ihr seinen Plan zu.
Endlich geschah etwas.
»Sie bringen noch jemanden!«, rief es aus der Menge. Inzwischen war die Sonne über den Horizont gestiegen, aber noch hinter den Häuserfronten verborgen. Trotzdem wurde es schnell heller, und die ersten Menschen in der Menge löschten ihre Fackeln.
Tatsächlich öffnete sich die Rathaustür ein zweites Mal, und ein Raunen lief über den Marktplatz.
Richard fluchte. Es war Jörg Zeuner, der ins Freie trat, und neben ihm, von ihm am Ellenbogen umfasst, befand sich Katharina!
»Was, zum Henker ...!« Richard wollte sich nach vorn drängen, aber die Menschen rings um ihn zischten ihn an. Der Grobschlächtige gab ihm einen harten Stoß in die Seite. »Wir wollen alle was sehen!«, knurrte er.
Richard achtete nicht auf ihn. Mit offenem Mund sah er zu, wie Zeuner Katharina zu Gunthers Karren führte und sie zwang hinaufzusteigen. Auch Gunther schien von der Entwicklung der Dinge überrascht, denn er sah Katharina staunend an. Sebald stellte ihr mit entsetzter Miene eine Frage, doch sie antwortete ihm nicht. Sie stand mit gesenktem Kopf da. Ihre Haare hatten sich gelöst, so dass die blonden Strähnen und auch der schwarze Schleier rechts und links ihrer Wangen herunterfielen und ihre Züge weitgehend verhüllten. Sie legte die Hände auf den Holm, an den man auch schonGunther gefesselt hatte, und Zeuner persönlich band sie dort fest. Dann stieg er von der Pritsche zu Boden.
Der Kutscher ließ seine Peitsche knallen. Der Richter, die Schöffen und Büttel und auch die beiden Priester formierten sich zu einem langen Zug, der dem Karren voranschritt. Zeuner winkte einen der Ratsdiener zu sich und sagte ihm ein paar Worte. Der Mann nickte, nahm einen Zettel in Empfang und verschwand in der Menge.
Richard hatte das Gefühl, im Boden Wurzeln geschlagen zu haben.
Die Menge wich zur Seite und öffnete eine Gasse für die Würdenträger, und kurz bevor sich die Menschenmenge hinter dem Karren wieder schloss, überwand Richard seine Starre.
Zeuner hatte sich ebenfalls nicht gerührt. Da die meisten Schaulustigen sich dem Zug zum Rabenstein anschlossen, gelang es Richard, zu dem Bürgermeister hindurchzudringen.
»Was hat das zu bedeuten?«, schrie er ihn an.
Zeuner schaute ihm ins Gesicht. In seinen Augen stand Zweifel, aber er blinzelte, und fort war dieser Ausdruck. »Ihr wird nichts geschehen«, murmelte er. »Es geschieht zu
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