Seraphim
fortgerührt, in dem Katharina lag und inzwischen von ihrer Ohnmacht in einen unruhigen Schlaf gefallen war. Jetzt, die Türmer hatten gerade die neunte Stunde geschlagen, öffnete sich die Tür zu seinem Gemach.
»Meinst du nicht, du sollest dich auch ein wenig hinlegen? Immerhin hast du die ganze letzte Nacht nicht geschlafen.« Arnulf stellte eine brennende Kerze auf einer Truhe ab und legte Richard dann eine Hand auf die Schulter. Richard gestattete sich für einen kurzen Moment, die Augen zu schließen. Auf einmal war die Müdigkeit so übermächtig, dass er zu schwanken begann.
Nachdem sie Katharina in sein Haus geschafft hatten, war Arnulf losgehetzt, um Hartmann Schedel zu holen. Während er die Halswunde Katharinas und auch den Schnitt an ihrem Oberarm gereinigt und verbunden hatte, hatte sich der Physicus Richards Bericht über die Ereignisse am Rabenstein angehört. Auf die Frage, ob sich der Biss entzünden würde, hatte er keine Antwort gewusst. »Wir müssen abwarten, was geschieht«, hatte er gesagt und sich dann den Wunden zugewandt, die Richard bei dem Getümmel zugefügt worden waren.
Als er sich anschickte zu gehen, hatte Richard Katharina angeschaut. »Kann ich etwas für sie tun?«, hatte er gefragt.
»Betet für sie«, war die ernste Antwort gewesen.
»Ich habe es versucht«, murmelte Richard jetzt. Seine Zunge war schwer, als habe er zu viel Branntwein getrunken.
Arnulf zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Was hast du versucht?«
Richard wies mit dem Kinn auf Katharina. Weil er den Anblick des dicken weißen Verbandes um ihrer Kehle nicht mehr ertragen konnte, hatte er eine dünne Samtdecke über das Federbett gelegt und sie bis unter Katharinas Kinn gezogen.
Katharina warf den Kopf zur Seite. »Wer hat ... Matthias ...«, stöhnte sie.
»Sie träumt«, murmelte Richard. Er befühlte ihre Stirn. Sie war kühl und trocken, und er verspürte Erleichterung. Die Vorstellung, dass sie sterben könnte, war ihm unerträglich. »Ich habe versucht, für sie zu beten, Arnulf. Aber ich konnte es nicht.«
»Warum nicht?«
»Wer bin ich, dass ich es wagen dürfte? Ich habe Angst, Arnulf! Angst davor, dass Gott sie dafür straft, wenn ich es wage, ihn um Hilfe anzuflehen! Ich, der ich seit Jahren keine Kirche mehr besucht habe.«
An Arnulfs Schläfe zuckte ein Muskel. »Man könnte meinen, dich quält die Tatsache, dass du heute eine alte Frau umgebracht hast, aber nein!«
Richard hatte versucht, über den Tod der weißhaarigen Alten entsetzt zu sein, aber es war ihm völlig unmöglich gewesen. In ihm hatte sich eine dumpfe Empfindungslosigkeit breitgemacht, die genährt wurde von der Gewissheit, dass er verdammt war. Nur die Vorwürfe, die er sich wegen Magdalenas und Vasaris Tod machte, waren in der Lage, diesen Fatalismus zu durchdringen, und weil er es nicht ertragen konnte, gar nichts zu fühlen, hielt er wenigstens das Schuldgefühl in sich wach.
»Wenn du mich fragst, Richard, dann hast du Magdalenas Tod lange und ausgiebig bereut. Und den von Vasari erst recht!«, sagte Arnulf.
Richard vergrub das Gesicht in den Händen. Sein Inneres fühlte sich an wie eine geballte Faust, und plötzlich hatte er das Bedürfnis, aufzuspringen und loszuschreien. Er tat es nicht. Stattdessen sah er Arnulf an. »Du hättest mich damals auch ertrinken lassen sollen!«
Ein Schatten flog über Arnulfs Gesicht, und auf einmal war das Funkeln seiner Augen wieder da. Diesmal jedoch wirkte es nicht spöttisch, sondern voller Zorn. »Du bist so ein Arsch!«, knurrte er, und das deftige Wort wirkte durch seine präzise Aussprache erstrichtig brutal. »Seit Jahren suhlst du dich in deinem Selbstmitleid. Wach endlich auf, Richard! Was geschehen ist, ist geschehen. Egal, was auch immer du tust, welchem neuen Teufel du deine unsterbliche Seele verkaufst, Magdalena wird es nicht zurückbringen!«
Die Worte fuhren ihm ins Herz wie Dolche. Richard sprang auf. Vor seinen Augen wallten blutrote Schleier. »Dass du mir einmal das Leben gerettet hast«, zischte er, »berechtigt dich noch lange nicht dazu, mich so zu kritisieren!«
Arnulf blieb ruhig. »Nein«, sagte er. »Wahrscheinlich nicht.« Er machte eine Pause, fügte dann hinzu: »Aber dass ich dein Freund bin, schon.«
Vorsichtig ließ Richard sich wieder auf seinen Stuhl sinken. »Tut mir leid«, flüsterte er.
»Magdalenas Tod war ein Unfall, Richard, egal, was auch immer du dir einredest. Und dass sie Cesare Vasari dafür angeklagt haben, dafür
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