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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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diesem Morgen gelegen hatte. »Was ist denn?«
    Guillelmus hatte die Augen in den Höhlen verdreht, als habe ihn plötzlich ein Krampf ergriffen. »Die Hinrichtung, Pater!« Er holte so tief Luft, dass es wie ein Schluchzen klang.
    Prior Claudius hatte dem jungen Mönch den Befehl gegeben, der Hinrichtung beizuwohnen, bei der er selbst als seelischer Beistand in dem Zug mitgelaufen war. Johannes hatte es für einen Fehler gehalten, aber seit er für die Vorgänge im Gästehaus des Klosters keine Erklärung hatte finden können, hörte der Prior kaum noch auf seine Meinung.
    Die Erlaubnis, das Kloster zu verlassen, um seinen Bruder aufzusuchen, hatte er ihm auch nicht erteilt. Zwar war Aurelius, der als Klostergast nur bedingt an die Weisungen des Priors gebunden war, zu Hartmann gegangen, aber er hatte nichts erreicht, denn man hatte ihn einfach nicht zu dem Medicus vorgelassen.
    Bruder Aurelius war noch immer der Ansicht, dass Hartmann Schedel nicht fähig war, sich der Verantwortung für seine Taten zu stellen. Seiner Meinung nach war es langsam an der Zeit, zu Prior Claudius zu gehen und eine umfassende Beichte abzulegen.
    Johannes zwang die bei diesen Gedanken aufsteigende Verwirrung nieder und legte Guillelmus einen Arm um die Schultern. »Es ist schlimm, einen Menschen sterben zu sehen«, sagte er in väterlichem Ton. »Aber wir müssen begreifen, dass der Tod zum Leben ...«
    »Ich meine nicht die Hinrichtung selbst«, stieß Guillelmus hervor.
    Johannes stutzte. »Sondern?«
    »Bei der Hinrichtung ist etwas geschehen.« Guillelmus’ schriller Tonfall bewirkte, dass sich Johannes’ Blase bemerkbar machte.
    Er führte den jungen Mönch zu einem der leeren Betten und drückte ihn auf dem Rand nieder. »Und was?«
    »Es gab einen Aufruhr.«
    Erleichterung ergriff Johannes. Das war nichts Besonderes. Die Stadträte befahlen nicht umsonst manchmal ganze Hundertschaften von Soldaten zu einer Hinrichtung, um die blutdürstige Menge von Ausschreitungen abzuhalten.
    »Es war kein normaler Aufruhr!« Guillelmus schniefte. Auf einmal war er den Tränen nahe.
    Schlagartig begriff Johannes, dass er das, was sein Famulus zu sagen hatte, nicht hören wollte. »Sondern?«, fragte er mit schmalen Lippen.
    Und dann erzählte Guillelmus es ihm. Er sprach von Menschen, die sich in Tiere verwandelten. Die mit gefletschten Zähnen ihren Nachbarn angriffen und ihm das Fleisch zerrissen. Er sprach von nackten Leibern, die sich auf den Verurteilten geworfen hatten und ihn mit ihren zu Klauen verkrümmten Händen in Stücke gerissen hatten. »Sogar der Henker«, endete er seinen grausigen Bericht, »sogar der Henker wurde von ihnen angefallen.« Guillelmus sank vornüber und verbarg das Gesicht in den Händen. Seine schmalen Schultern unter der weißen Kutte zuckten. »Es war, als hätte die Hölle ihre Pforten geöffnet und ihre Dämonen ausgespuckt, Pater!« Die letzten Worte drangen nur undeutlich durch seine Finger hindurch.
    Johannes ließ sich neben ihm auf die Bettkante sinken. Sein Gesicht fühlte sich plötzlich kalt an, und er hob die Hände an den Mund. Sein Kinn zitterte. »Geh in die Klosterkirche und sprich ein paar Gebete«, riet er Guillelmus. »Der Herr wird sich deiner annehmen und dir deinen Frieden wiedergeben.«
    Guillelmus schaute skeptisch, aber er erhob sich gehorsam und trottete davon.
    Johannes blieb allein zurück.
    »Es war, als hätte die Hölle ihre Pforten geöffnet!« Die mit hohler Stimme gesprochenen Worte ließen ihn bis auf die Knochen erschrecken. Er fuhr in die Höhe.
    Markus Krainer, der Inquisitor, stand in der Tür zur Krankenstube.Er wirkte nach seiner langen Bewusstlosigkeit grau im Gesicht, aber offenbar hatte er etwas gegessen und getrunken, denn seine Wangen waren nicht mehr so eingefallen und papiern wie zuvor.
    »Ich fürchte, ich verstehe Euch nicht«, murmelte Johannes. Der Blick des Inquisitors war durchdringend, aber nicht unfreundlich.
    Der Mann trat einen Schritt näher. »Euer junger Mitbruder spricht das aus, was viele Menschen in der Stadt glauben.«
    »Ihr sagt das, als seid Ihr der selben Meinung.«
    »Mit einem kleinen Unterschied.«
    »Ein Unterschied.« Johannes verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Ich glaube nicht, dass die Pforten der Hölle weit offen stehen. Ich weiß es.« Bruder Markus ging zu dem zweiten Bett und setzte sich darauf.
    Sofort spürte Johannes ein Gewicht auf seinem Rücken ruhen, wie ein Dämon, der ihn hinterrücks angesprungen hatte und ihm nun

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