Seraphim
eines reichen Antwerpener Kaufmanns, und als solche beantragten wir dann auch dieNürnberger Bürgerschaft. Keiner kam auf die Idee, dass ich die ehemalige Katharina Körber bin ...« Sie hielt inne. »Nur Sebald Groß, der Lochwirt, er erkannte mich auch nach all den Jahren wieder. Aber er behielt mein Geheimnis für sich, weil er ein guter Freund ist. Zu ihm konnte ich immer gehen, wenn ich Zuflucht brauchte, und er hat mich nie verurteilt. Bis auf ihn und Matthias kannte niemand mein Geheimnis.«
Sanft nahm Richard Katharina den Becher fort und stellte ihn zurück auf das Nachtkästchen. »Ihr glaubt Euch schuldig daran, dass Eure Mutter Augspurger geheiratet hat.«
»Es ist meine Schuld«, murmelte sie.
»Seht es doch einmal so: Er hat ihr geholfen, gegen ihre Krankheit anzukämpfen. Wahrscheinlich hat er ihr ein paar Jahre ihres Lebens geschenkt.«
»Ich glaube, sie liebt ihn sogar«, sagte Katharina. Noch immer erschien ihr diese Vorstellung unbegreiflich. Sie sah Bertram das Rad heben und Joachims Glieder zertrümmern. Und dann versuchte sie sich vorzustellen, wie derselbe Mann ihre Mutter zärtlich umarmte und küsste. Es ging nicht. Allein bei dem Versuch wurde ihr schlecht.
»Dann verstehe ich nicht, warum Ihr Euch Vorwürfe macht! Ich meine, mir ist schon klar, dass Ihr glaubt, sie hätte ihn nicht heiraten müssen, wenn Ihr aus Antwerpen zurückgekehrt wäret.«
Die Tatsache, dass Richard sie nicht zu verurteilen versuchte, sondern dass er, im Gegenteil, ihre Schuldgefühle mildern wollte, schmerzte Katharina auf unerwartet heftige Weise. Sie versuchte, sich aufrechter hinzusetzen. Plötzlich waren die Spinnweben in ihrem Kopf. Sie dachte an die Worte von Hildegard von Bingen. Daran, dass die melancholia eine Strafe Gottes für den Sündenfall war. »Vielleicht ist es sogar meine Schuld, dass sie diese Krankheit hat!« Plötzlich fühlte sie sich wie eine Missgeburt. Ein Monster wie die Menschen am Rabenstein.
Richard schüttelte den Kopf. »Krankheit gilt als eine Strafe Gottes. Wenn überhaupt, dann wurde Eure Mutter für eine eigene Sünde bestraft, mit Sicherheit nicht für eine der Euren.«
Seine Worte beruhigten Katharina nicht. Im Gegenteil. »Wenn es stimmt, was Ihr sagt, dann beweist das nur meine Schuld.«
»Warum?«
Sie dachte daran, wie ihr Vater monatelang versucht hatte, die Dämonen mit dem Gürtel aus ihr herauszuprügeln. Sie ging nicht auf Richards Frage ein, denn nun schnürte die alte Furcht ihr den Atem ab. Die Furcht, sie könne besessen sein. Die Rufe fielen ihr ein, die während des Aufruhrs am Rabenstein gefallen waren.
Hexe!
Richard strich sanft über die Narben an ihrem Handgelenk. »Man hat Euch oft zur Ader gelassen«, sagte er. »Wogegen hat man Euch behandelt?«
Es war ganz einfach, es auszusprechen, viel einfacher noch als im Lochgefängnis. »Ihr wisst es. Die Schwermut, an der ich seit meiner Kindheit leide«
»Wie Euer Vater.«
»Ja.«
»Zu viel melancholia in Eurem Blut.« Er benutzte das Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung, als Bezeichnung für die Schwarzgalle, die die Schwermut auslöste. Sein Blick wurde weich dabei, mitfühlend. Es tat Katharina gut, auf diese Weise angesehen zu werden, aber sofort fragte sie sich, warum Richard, anders als alle anderen Menschen, die von ihrer Krankheit wussten, keine Angst vor ihren Dämonen hatte. Schließlich senkte er den Blick wieder auf die Narben. »Die stammen aber nicht alle aus Eurer Kindheit. Einige sind sehr viel neuer.« Er zog eine davon mit dem Daumennagel nach.
Katharinas Haut brannte unter seiner Berührung, und rasch zog sie die Hand fort. »Das sind sie«, sagte sie. Mehr nicht. Halb erwartete sie, dass er nachfragen würde, doch er schwieg einfach. Es war ein gutes Schweigen, voller Verständnis, und es gab Katharina den Mut, das auszusprechen, was sie noch niemals zuvor zu jemandem gesagt hatte.
»Manchmal frage ich mich, ob Gott uns unsere Sünden überhaupt vergeben kann.«
Er zog Luft durch die Zähne. »Ihr habt gehört, was Gunther dazu gesagt hat«, erinnerte er sie. Ein harter Zug lag um seinen Mund dabei.
»Habe ich. Und das Seltsame ist, dass ich mich in jenem Momenttatsächlich besser gefühlt habe. Im Kerker!« Sie rümpfte die Nase und konnte es selbst kaum glauben. Traurigkeit und Schuldgefühle hüllten sie ein wie ein fester, unzerreißbarer Schleier. »Ihr habt es nicht so empfunden, oder?«
An seinen Augen war zu sehen, dass er in Gedanken in das Loch zurückkehrte.
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