Seraphim
nicht jener Dämon, den sie stets versucht hatte, in ihm zu sehen.
Der Mann an seiner Seite war der Löve, der Gehilfe des Henkers.
Katharina kniff die Augen zusammen, um zu erkennen, was sie trugen. Es war eine Gestalt. Die Arme um ihre Nacken geschlungen, saß sie auf ihren verschränkten Händen, und als sie nun in den Lichtkreis der Fackeln traten, erkannte Katharina auch, wer es war.
Aus großen, erschrockenen Augen schaute ihr ihre eigene Mutter entgegen.
Von dem Moment an, da der Entschluss gefasst war, Katharina der Wasserprobe zu unterziehen, bis hin zu dem Augenblick, als das Licht der Fackeln auf Mechthild Augspurger fiel, versuchte Richard, sein Entsetzen im Zaum zu halten, indem er die Zähne fest aufeinanderpresste und die Fingernägel in die Handballen grub.
Der Fluss kam ihm schwarz und unheimlich vor. Bilder seines eigenen Schicksals flammten vor seinem inneren Auge auf, sobald er blinzelte, und schufen ein Szenario, dessen Sog er sich kaum entziehen konnte. Wasser, das über seinem Kopf zusammenschlug. Eine schmerzende Kehle, brennende Lungen.
Er drehte sich um, versuchte in der Menge ein bekanntes Gesicht zu entdecken, aber er schaute in fremde Mienen. Ein Junge, derkaum sieben oder acht Jahre alt sein konnte, fing seine Blicke auf und grinste breit. Er hatte keine Schneidezähne, und seine Zunge flitzte über seine Lippen wie ein lebendiges Tier.
»Komm her!«, forderte Richard ihn auf.
Zögernd trat der Junge näher. Er musterte Richards Kleidung, den pelzbesetzten Mantel, den er nicht abgelegt hatte, seit er auf Befehl von Bürgermeister Zeuner sein eigenes Haus verlassen hatte und ins Rathaus gegangen war. Wie lange war das her? Tage? Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit.
Er nestelte eine Münze aus seiner Geldbörse und drückte sie dem Jungen in die Hand. »Du bekommst noch so eine«, versprach er, »wenn du rennst und Arnulf, den Nachtraben, hierherholst, bevor sie diese Frau tauchen. Kannst du dir den Namen merken?«
Der Junge starrte auf seine offene Handfläche, und sein Unterkiefer klappte herunter. »Arnulf, der Nachtrabe. Für einen ganzen Gulden merke ich mir noch tausend weitere Namen, Herr!«
»Gut! Der Wirt von der ›Krummen Diele‹ wird wissen, wo sich Arnulf aufhält. Kennst du das Gasthaus ›Zur krummen Diele‹?«
»Das im Viertel am Spittlertor? Klar!«
»Dann lauf! Und beeil dich! Denk daran, es gibt den anderen Gulden nur, wenn du Arnulf rechtzeitig herbringst.«
Der Junge machte auf dem Absatz kehrt und flitzte davon.
Richard hatte keine Ahnung, was ihn dazu trieb, Arnulf an seiner Seite haben zu wollen. Es war, als müsse er sich an etwas erinnern, ein wichtiges Detail, das seinem Geist entschlüpft war, das aber in den Tiefen seiner Erinnerung herumpolterte.
Sorgfältig schnürte er seine Geldbörse wieder zu und richtete seine Aufmerksamkeit zurück auf das Geschehen auf der Mole.
Der Anblick ihrer Mutter schaffte das, was Katharina zuvor für unmöglich gehalten hatte: Sie überwand die Schwäche, die die Angst in ihr hervorrief, und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Die beiden Büttel reagierten erstaunt, lockerten ihre Griffe jedoch soweit, dass Katharina sich halb umwenden konnte.
»Ich werde beweisen, dass ich keine Hexe bin, Mutter!«, sagte sie.
Mechthild öffnete die Lippen. Ihre Hände zitterten und auch ihrKinn, doch sie nickte mühsam. Bertram und sein Gehilfe setzten sie behutsam auf dem feuchten Holz ab. Dann bestieg Bertram die Mole und trat Katharina entgegen.
Er blickte ihr in die Augen, und im Licht der Fackeln war nur schwer auszumachen, welcher Ausdruck in ihnen lag. Sein Mund jedoch war zusammengepresst und von harten Linien umgeben.
Es gab nichts zu sagen.
Der Löve machte sich unter den Bohlen zu schaffen. Mit einem leisen Ächzen zerrte er einen großen Gegenstand darunter hervor, lud ihn sich auf die Schultern und kletterte wieder nach oben, um ihn vor Bertrams Füßen abzulegen.
Katharina keuchte auf. Es war ein Holzkreuz, ganz ähnlich jenem, auf dem man noch an diesem Morgen Joachim Gunther hingerichtet hatte.
Breitbeinig baute sich Bertram neben dem Kreuz auf.
Der Stadtrichter trat in die Mitte, hob die Arme, um die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu ziehen. Mit lauter, weithin hörbarer Stimme begann er zu sprechen: »Wir sind hier zusammengekommen, um nach Gottes Ratschluss und für immer und ewig festzustellen, ob diese Frau, Katharina Jacob, Witwe des ehrbaren Nürnberger Bürgers Egbert Jacob, sich der
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