Seraphim
Ratsdiener und Magistrate rannten hin und her, registrierten die Schäden, zu denen der neuerliche Ausbruch des Wahns geführt hatte. Katharina hörte, dass es in einem Viertel nahe der Burg einen Großbrand gegeben hatte, der jedoch glücklicherweisedurch das heftige Gewitter gelöscht worden war. Ein Ratsdiener, der geschäftig an ihnen vorbeieilte, murmelte etwas von »siebenhundert Toten« und verglich den Wahn mit der Geißel der Pest.
Schließlich kam Zeuner zu ihnen. »Kommt mit mir«, bat er sie, und beinahe gleichzeitig mit ihm rief jemand: »Bürgermeister Zeuner!«
Eine unbekannte Stimme.
Ein Mann im Gewand der Dominikanermönche kam durch die Eingangstür gestürzt, den Katharina noch nie zuvor gesehen hatte. Seine Sandalen verursachten klatschende Geräusche auf dem glatten Steinfußboden.
Zeuner wartete, bis er heran war. »Und wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?«
Katharina spürte, wie sich ihr eine Hand auf die Schulter legte und sich die Finger in ihr Fleisch gruben. »Vorsichtig!«, raunte Richard an ihrem Ohr.
Ihr Herz machte einen Satz.
»Diese Frau!« Der Mönch achtete nicht auf Zeuners Frage, sondern ging mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Katharina los, als wollte er sie aufspießen. »Sie ist schuld an den ganzen Vorgängen hier in Nürnberg! Sie ist eine Hexe, und es ist unbedingt notwendig, sie unschädlich zu machen!«
»Was für ein Unsinn!«, herrschte Zeuner den Mann an.
»Ihr habt gesehen, was dort draußen passiert ist!« Beinahe flüsterte der Mönch. »Was für eine Erklärung habt Ihr dafür?«
»Bisher keine, aber ...«
»Keine?« Der Mönch schrie jetzt. »Er hat keine Erklärung! Natürlich nicht, weil es Hexenwerk ist!« Er drehte sich einmal um die eigene Achse. Ringsherum waren die Menschen stehengeblieben und schauten ihn neugierig an. Zwei Ratsdiener steckten die Köpfe zusammen und tuschelten aufgeregt. Katharina hörte das Wort »Hexe!«. Ihre Knie begannen zu zittern.
»Wer seid Ihr eigentlich?«, fragte Zeuner eisig.
Der Mönch richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. »Mein Name ist Markus Krainer, Mitglied des Ordo fratrum Praedicatorum , des Ordens des heiligen Dominikus und Doktor der Jurisprudenz. Undich bin offizielles Mitglied der Heiligen Inquisition. Als solches verlange ich von Euch, diese Frau sofort festzusetzen und verhören zu lassen, denn eine solche Untat, wie sie heute dort draußen stattgefunden hat, kann sie nicht alleine herbeigehext haben. Sie muss gefoltert werden, damit wir in Erfahrung bringen können, wie viele Nürnberger ihrer geheimen Sekte angehören!«
Katharinas Körper wurde gänzlich steif, als sie diese Worte hörte. Nur ihr Kinn begann zu zittern, so stark, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Unwillkürlich drängte sie sich dichter an Richard, und er schlang den Arm um sie.
Zeuner presste Daumen und Zeigefinger auf die Augen. Auf einmal sah er nicht mehr zornig aus, sondern nur noch unendlich erschöpft. »Ich habe genug von diesem allem!«, murmelte er. »Mehr als genug!«
Zwei dickbäuchige Männer, beide gekleidet in die dunklen Gewänder von Gelehrten, kamen eilig näher.
Einer von ihnen hatte rote Haare, die ihm bis knapp zu den Ohrläppchen reichten und dort in einer leichten Welle nach innen gekämmt waren. »Was hat das alles zu bedeuten, Zeuner?«, fragte er.
»Stadtrat Seiz!« Zeuner deutete eine Verbeugung an.
»Das ist der Stadtrichter«, flüsterte Richard Katharina zu.
Seiz baute sich vor Zeuner auf. »Ich verlange eine Erklärung! Wieso kommt hier einfach ein Mann der Inquisition herein und klagt eine Bürgerin der Hexerei an, die Ihr, wenn ich richtig informiert bin, erst kürzlich schon einmal genau deswegen festgesetzt habt?«
Zeuner leckte sich über die Lippen. »Das ist eine längere Geschichte, Herr Richter. Aber ich versichere Euch«, er schielte in Richtung Krainers und schluckte sichtlich, bevor er fortfuhr: »diese Frau ist alles andere als eine Hexe!«
»Vielleicht steckt Ihr mit ihr unter einer Decke?«, schrie Krainer.
Zeuner schloss die Augen. Katharina konnte ihm ansehen, dass er fieberhaft nach einem Ausweg aus dieser Situation suchte und keinen fand. Er wurde von Augenblick zu Augenblick unruhiger.
»Das lässt sich ganz leicht herausfinden!«
Alle Köpfe wandten sich dem Eingang zu. Dort stand ein weiterer Predigermönch, aber diesen kannte Katharina. Er war der Prior des Klosters in der Burgstraße.
Mit gemesseneren Schritten als der Inquisitor trat er herbei. »Es
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