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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Hexerei schuldig gemacht hat oder ob sie unschuldig ist. Zu diesem Zwecke wird sie auf das Holzkreuz gebunden und in den Fluss getaucht werden. Schwimmt sie oben, so gilt ihre Schuld als zweifelsfrei bewiesen. Geht sie jedoch unter, wird der anwesende Nachrichter sie mit Hilfe dieser Seilwinde wieder an Land ziehen, und sie gilt als unschuldig und frei. In meiner Funktion als Stadtrichter der freien Reichsstadt Nürnberg rufe ich hier und jetzt den Friedebann über alle Anwesenden aus und verpflichte sie, sich ruhig und geziemlich zu verhalten, keine Händel untereinander zu beginnen und besonders dem Nachrichter und seinem Gehilfen gegenüber keine Gewalt anzuwenden.« Er machte eine kurze Pause. »Und nun, Nachrichter, waltet Eures Amtes!« Er trat zurück in die Reihen der Stadträte.
    Bertram schluckte einmal kräftig. Während der gesamten Rede des Richters hatte er den Blick nicht von Katharina gelassen, und sie war von seinen grauen Augen wie gebannt gewesen. »Leg dich hin«,bat er. Seine Stimme scholl nicht so weit über die Wiesen wie die des Richters, aber sie war laut genug, um die umstehenden Menschen zu erreichen und sie seufzen zu lassen.
    Die Büttel ließen Katharina los.
    Sie holte tief Luft. Dann kniete sie nieder und legte sich auf die Mitte der Holzkreuzes. Zögernd nur hob sie einen Arm über den Kopf. Bertrams Finger waren eiskalt, als er nach ihrem Handgelenk griff und es festband. Dann umrundete er das Kreuz, band auch ihren zweiten Arm auf das Gerüst. Die Beine zu spreizen fiel Katharina noch schwerer, als die Arme zu heben. Bertram umfasste ihre Fußknöchel, zog erst das rechte Bein nach außen, um es auf dem Kreuz zu befestigen, dann das linke, und auf einmal glaubte Katharina, einen dumpfen Schmerz wahrzunehmen, der von ihrem Leib in alle Regionen ihres Körpers ausstrahlte und dessen Herkunft sie sich nicht erklären konnte. Sie schob ihn auf die Angst, die sie empfand.
    Da die Balken des Kreuzes zu dick waren, um den Kopf auf dem Boden ablegen zu können, spannte sie die Halsmuskeln. Über ihren eigenen Körper hinweg schaute sie nach Richard, aber er war nicht mehr an der Stelle, an der er noch eben gestanden hatte. Ihr Nacken begann sich zu verkrampfen, und sie entspannte ihn, so gut sie konnte. Ihr Kopf hing jetzt nach hinten, so dass sie in den Nachthimmel starrte.
    Mit vereinten Kräften hoben Bertram und sein Gehilfe das Kreuz in die Höhe. Katharina bekam das Bild von Joachim Gunther nicht aus dem Kopf. Auch er hatte wie sie mit gespreizten Armen und Beinen dagelegen, und ihn hatte ein grausames Schicksal ereilt. Sie schloss die Augen.
    Dicht an der Kante zum Wasser legten Bertram und der Gehilfe das Kreuz noch einmal ab. Bertram zog die Kette herunter, die von dem Kranausleger baumelte, und befestigte sie über Katharinas Kopf irgendwo an dem Kreuz. Dann zog er daran, und rasselnd lief ein gutes Stück von ihr dicht an Katharinas Kopf vorbei zu Boden, wo es in einem kleinen Haufen liegenblieb.
    »Bist du bereit?«, fragte Bertram ganz leise.
    Katharina nickte. Ihre Halsmuskeln pochten und auch ihr gesamter Körper.
    »Ich ziehe dich sofort wieder hoch, wenn du untergegangen bist!«, flüsterte Bertram, als er sich über das Kreuz beugte und es mit beiden Händen umfasste.
    Dann gab er ihm einen Stoß.
    Einen Wimpernschlag lang hing Katharina in der Luft. Das Kreuz kippte mit den unteren beiden Armen zuerst ab, und eisig kalt und pechschwarz schlug das Wasser über ihr zusammen.
    Mit geballten Fäusten sah Richard zu, wie das Gestell mit Katharina auf dem Fluss aufklatschte und dann schnell sank. Eine große Luftblase stieg aus Katharinas Kleidern empor, zerplatzte an der Oberfläche, und rasselnd rutschte die Kette hinter dem Kreuz her in die Tiefe.
    Einige Augenblicke vergingen, die Richard vorkamen wie eine Ewigkeit. Noch eine Luftblase zerbarst an der Wasseroberfläche, die Menschen hielten den Atem an, dann war Zeuners Stimme zu hören: »Zieht sie wieder raus!«
    Mit vereinten Kräften packten der Henker und sein Gehilfe die beiden Griffe an der Winde und begannen zu drehen. Die Kette wickelte sich auf, Handbreit um Handbreit, und schließlich spannte sie sich.
    »Schneller!«, rief Richard aus.
    Die Kettenglieder glitten über die Rolle oben am Kranausleger.
    Es gab ein leises, aber schrilles Quietschen. Dann einen Ruck.
    In diesem Moment wusste Richard, woran er die ganze Zeit versucht hatte sich zu erinnern.
    Pömers Worte schossen ihm durch den Kopf, ausgesprochen in

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