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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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St. Sebald hatte offenbar die Abendmesse länger gedauert als üblich, denn der Platz vor dem Ostchor der Kirche war trotz derDunkelheit noch voller Menschen, die beisammenstanden und sich unterhielten.
    Katharina zwang sich, nicht weiterzulaufen, sondern so zu tun, als gehöre sie zu den Kirchgängern. Sie senkte den Kopf, und um weniger aufzufallen, zog sie ihren schwarzen Witwenschleier ab. Die Haare hingen ihr wirr um Gesicht und Ohren, aber das war ihr nur recht. Langsam schlenderte sie durch die Menge. Vorbei an St. Sebalds Kirchhofmauer in Richtung Portal.
    »Da ist sie!«
    Der Schrei ließ sie erneut loshetzen. Mit fliegenden Fingern öffnete sie eine kleine Pforte in der Friedhofsmauer und stolperte hindurch. In ihrer Eile trat sie auf ein frisches Grab. Ihr Fuß sank tief ein, und sie strauchelte. Sie fiel auf ein Knie, doch sofort rappelte sie sich wieder auf und jagte weiter. Zu einer kleinen Seitentür der Kirche.
    Herrgott, lass sie offen sein! , flehte sie im Laufen.
    Mit der Schulter krachte sie gegen die Tür. Der Aufprall fuhr ihr durch den gesamten Arm und durch die Schulter, bis hinauf zum Kiefer. Sie stieß einen Schmerzensschrei aus. Zu! Doch dann begriff sie, dass die Tür sich nach außen öffnete. Mit einem Schluchzer riss sie sie auf, stolperte ins dunkle, weihrauchgeschwängerte Innere des Kirchenraums.
    Der Westchor war direkt zu ihrer Linken. Sie keuchte. Suchte nach einer Möglichkeit, sich zu verbergen. Der Beichtstuhl? Den würden sie mit Sicherheit untersuchen. Sie stolperte einige der Stufen zum Chor hinauf. Ihr Blick fiel auf den bemalten Altar. Eine Krippenszene. Eine Heilige. Flammen, in denen Menschen verbrannten. Der Chor war der heiligen Katharina von Alexandrien geweiht, ihrer Namenspatronin.
    Der Blick der Heiligen war gen Himmel gerichtet, und auf einmal kam es Katharina vor wie ein Zeichen. Sie sah sich um. Rechterhand führte eine Tür hinauf in einen der Türme der Westfassade.
    Die Kirchentür, durch die sie gekommen war, öffnete sich.
    »Komm doch! Sie wird nicht so blöd sein, sich in der Kirche zu verstecken«, hörte sie einen der Büttel sagen.
    Katharina überlegte blitzschnell. Sollte sie auf der anderen Seitewieder aus der Kirche hinauslaufen und sich in der Dunkelheit der Gassen verbergen? Oder sollte sie hier in der Kirche nach einem Versteck suchen?
    Noch einmal schaute sie auf das Bild der Heiligen, dann fällte sie eine Entscheidung. Sie würde sich dem Schutz des Herrn anvertrauen.
    So schnell sie konnte, öffnete Katharina die Turmtür, schlüpfte hindurch und schloss sie hinter sich. Mit leisen, aber eiligen Schritten ging sie eine steile Wendeltreppe hinauf. Wendung um Wendung lief sie nach oben, erreichte einen Absatz, auf dem Taubendreck in dicken Placken herumlag und von ihrem Rock aufgewirbelt wurde. Er geriet ihr in die Nase, und sie unterdrückte ein Niesen. Eine neue Treppe führte weiter hinauf, höher und immer höher in den Turm.
    Und dann fiel sie förmlich durch einen Durchgang, einige steinerne Stufen hinauf, und landete auf einem hölzernen Fußboden. Schweratmend blieb sie liegen und lauschte, ob die Büttel ihre Spur verloren hatten.
    Weit unten wurden Stimmen laut, doch sie konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde. Sie raffte sich auf und sah sich um. Sie befand sich auf dem Engelschor, jener Empore, die über das Mittelschiff hinwegragte und zu besonderen Anlässen hohen Würdenträgern vorbehalten war, wenn sie dem Gottesdienst beiwohnen wollten. Seine Brüstung hatte genau in der Mitte eine kanzelartige Ausbuchtung, und in diese trat Katharina jetzt.
    Auf einmal waren die Stimmen von unten aus dem Kirchenschiff klar und deutlich zu verstehen. Vorsichtig lugte sie über den Rand, um zu sehen, wer sprach. Es waren tatsächlich zwei der Büttel, die sie verfolgten, ein rothaariger Hüne und Ludwig.
    »Sag ich doch: Die ist hier nirgends«, murrte der Hüne.
    »Sie muss hier sein! Einer der Männer draußen hat sie in die Kirche laufen sehen«, widersprach Ludwig. Er stand vor einem bronzenen Taufbecken, das zwischen zwei Säulen aufgestellt war.
    Der Hüne grummelte etwas, das Katharina nicht verstand. »Sie ist wahrscheinlich längst auf der anderen Seite wieder raus und in den Gassen verschwunden«, fügte er hinzu.
    »Und wenn nicht?«
    »Sie ist eine Hexe, das ist doch klar! Immerhin hat sie die Wasserprobe überlebt. Sie würde sich nicht in einer Kirche verbergen!«
    Ludwig hob sein Schwert und drehte es hin und her. Dann

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