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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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einer dickflüssigen und pechschwarzen Paste.
    Richard schloss die Finger um die Kante des Tisches. Auf seinen Ohren lag plötzlich ein Druck, als befinde er sich wieder in dem Weiher ... wie damals ... Er schüttelte den Kopf, um das Trugbild zu vertreiben.
    »Geht es Euch gut?« Pömers Stimme klang verzerrt in seinen Ohren.
    »Ja, ja.« Er winkte ab und sah zu, wie Pömer eine zweite klare Flüssigkeit auf die schwarze Masse in seinem Gefäß schüttete. »Warum destilliert Ihr das Zeug? Ich meine, was versprecht Ihr Euch davon?« Er hielt inne, weil er glaubte, ferne Schritte gehört zu haben, aber offenbar hatte er sich getäuscht. Außer dem Blubbern des Wassertopfes und Pömers kurzen Atemstößen war alles still.
    Pömer schien ihn nicht gehört zu haben. Er schüttelte die Mischung in seinem Kolben und sah zu, wie sich die beiden verschiedenen Flüssigkeiten erst miteinander mischten und dann wieder trennten, wie Öl und Wasser. Dann wiederholte er den gesamten Vorgang, den er vorhin bereits einmal durchgeführt hatte. Als der Topf im Wasserbad stand, beugte Pömer sich darüber und sog die aufsteigenden Dämpfe tief in sich hinein. »Ah!«, machte er.
    Hinter Richard erklangen wieder Schritte, sehr nahe und sehr leise, als versuche jemand, sich heimlich anzuschleichen. Aber als Richard sich umdrehte, war niemand zu sehen.
    Ein hohes Kichern ließ ihn zusammenzucken, und es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass es Pömer war, der so unheimlich lachte. »Ich weiß, ich weiß«, sagte er mit einer Stimme, die so gar nicht mehr zu ihm zu passen schien. Hoch und schrill war sie, wie von einer sehr alten Frau – oder von einem Kind. »Sie wird ihren Engel bekommen, das habe ich doch versprochen!«
    Richard sprang auf die Füße, als er begriff, was er soeben gehörthatte. Der Schmerz durchzuckte seinen Oberkörper mit solcher Kraft, dass er schrie. Er wollte etwas sagen, doch Pömer kam ihm zuvor. Er deutete auf Richard. »Das ist doch ein schöner Engel, Mutter, nicht wahr?« In seinen Augen stand ein fiebriger Glanz, und die Spitzen seiner Haare hatten angefangen zu flimmern.
    »Was ...?« Schwindel erfasste Richard. Er taumelte rückwärts.
    »Er sollte noch nicht aufstehen, Mutter, ich habe es ihm eigens gesagt! Aber er will nicht hören, der böse Junge!«
    Die Worte dröhnten in Richards Ohren. Er versuchte, sich an dem Tisch festzuhalten, aber seine Kräfte verließen ihn jetzt rapide.
    Er spürte noch, wie er zusammenbrach. Dann wurde er erneut ohnmächtig.
    * * *
    Pömers Diener öffnete ihnen, und auf ihre Frage nach Richard bekamen sie zur Antwort, dass er am Nachmittag hier gewesen, aber offenbar irgendwann im Laufe des Abends wieder gegangen sei.
    »Was heißt ›offenbar‹, Thomas?«, wollte Arnulf wissen. Er stand auf der obersten Stufe des Haussteins und hatte die Hand gegen das Türblatt gelegt, als fürchte er, der Diener werde ihn und Katharina im nächsten Moment einfach draußen stehen lassen.
    »›Offenbar‹ bedeutet, dass ich ihn nicht habe fortgehen sehen.«
    »Aber er befindet sich jetzt nicht mehr im Haus?«
    Wenn sich Thomas darüber wunderte, dass Arnulf von einem Moment auf den anderen zu einer gebildeten, wohlgesetzten Sprache wechselte, so zeigte er es nicht. Katharina war in Gedanken zu sehr mit Richard beschäftigt, als dass sie sich darüber wunderte, wie mühelos der Nachtrabe zwischen den einzelnen Welten wechselte.
    Sie verspürte eine große Erleichterung darüber, wie überzeugt Arnulf von Richards Unschuld war. Seltsamerweise glaubte sie ihm in dieser Hinsicht. Arnulf hatte etwas an sich, eine große Offenheit, die nichts beschönigen würde, und das trieb Katharina dazu, ihm zu vertrauen.
    »Nein. Er ist nicht im Haus«, beantwortete der Diener die Frage des Nachtraben.
    Und Arnulf tat etwas völlig Unerwartetes.
    Er drückte die Haustür auf und schob Thomas kurzerhand zurSeite. Es war eine Bewegung voller Kraft, und doch sah sie mühelos aus.
    »Was tut Ihr hier?«, schrie der Diener, als Arnulf an ihm vorbei in den Flur drängte. »Herr Pömer ist auch nicht da!«
    Arnulf achtete nicht auf ihn, sondern marschierte einfach tiefer in das Haus hinein, in Pömers Kontor. Schnell, bevor Thomas sich entschließen konnte, ihr die Haustür vor der Nase zuzuschlagen, folgte Katharina ihm.
    Im Kontor drehte sich Arnulf einmal um seine eigene Achse. Er schaute hinter den Samtvorhang und gab dann ein Schnaufen von sich. »Am Nachmittag, sagtest du, waren sie beide

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