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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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hier?«
    Thomas nickte. Er sah ein wenig atemlos aus, und Katharina hatte eine vage Vorstellung davon, wie er sich fühlen musste. Trotz seiner geschliffenen Sprache – oder gerade deswegen, dachte Katharina – wirkte Arnulf plötzlich bedrohlich. Er überragte den Diener um einen ganzen Kopf. »Kann es sein, dass sie noch im Keller sind?«
    Thomas’ Blick huschte durch das Kontor, hin zum Flur und zu einer Holztür. »Ich weiß es nicht! Ich musste kurz das Haus verlassen, danach waren sie fort. Möglich, dass sie nach unten gegangen sind, aber sie müssten längst wieder hochgekommen sein.«
    »Sie könnten mit ihren Studien beschäftigt sein.« Arnulf betonte das Wort ›Studien‹ mit einem spöttischen Unterton, aber Thomas ging nicht darauf ein, sondern schüttelte den Kopf.
    »Sie hatten sich entschlossen, ihre Studien zu beenden. Wenn sie nach unten gegangen sind, sollten sie längst wieder hier sein. Nein! Ich glaube, dass sie aus dem Haus gegangen sind.«
    Auch Arnulfs Blick lag nun auf der Kellertür. Mit dem Knöchel des Zeigefingers rieb er sich das Kinn, während er nachdachte. Dann ging er zu der Tür und rüttelte daran.
    »Abgeschlossen«, stellte er fest. »Macht er das häufig?«
    Thomas zuckte die Achseln, und auf einmal überlief ein unangenehmes Kribbeln Katharinas Haut. Arnulf sah besorgt aus, und sie wollte ihn fragen, was er dachte. Aber da donnerte er mit der Faust gegen die Tür. »Richard!«, rief er. »Seid ihr da unten?«
    Er erhielt keine Antwort. Mit undurchdringlicher Miene kehrte er zurück in das Kontor.
    Katharina musste ihren ganzen Mut zusammennehmen, um sich zu erkundigen: »Warum seid Ihr auf einmal so besorgt?«
    »Ich habe ein ungutes Gefühl wegen der Dinge, die dort unten vorgehen. Und diese abgeschlossene Tür ...«
    »Aber sie müssen doch gar nicht dort runtergegangen sein! Was, wenn sie das Haus einfach durch die Haustür verlassen haben?«, wandte Katharina ein. »Die Tür könnte doch auch von hier oben abgeschlossen worden sein. Vielleicht machen sie irgendeinen Besuch.« Sie wollte sich selbst überzeugen, wollte die Angst von sich schieben, die sich jetzt wie ein Raubtier anschlich und sie in ihre Fänge zu nehmen drohte.
    »Herr Pömer neigt nicht dazu, des Nachts in der Stadt herumzulaufen und Besuche zu machen«, sagte Thomas dumpf.
    Arnulf warf sich in einen Armsessel und legte ein Bein über die Lehne. »Es gibt einen Gang, der diesen Keller mit den Felsengängen unter der Stadt verbindet. Wenn sie ihn benutzt haben, laufen sie jetzt dort unten irgendwo herum.« Seine lässige Haltung stand in krassem Gegensatz zu der Anspannung, die auf einmal sein Gesicht erfasst hatte. Er spürt es auch! , dachte Katharina. Die Gefahr. Richard war vielleicht dort unten in diesen Gängen, in denen Matthias gestorben war. In denen wahrscheinlich noch immer der Engelmörder sein Unwesen trieb.
    Arnulf sah ihr in die Augen. »Er kann auf sich aufpassen.«
    Katharina nickte, aber die Angst ließ nicht nach.
    Eine Weile wurde es sehr still im Raum. Katharina konnte sehen, wie Arnulf nach einer Antwort auf die Frage suchte, was sie jetzt tun sollten. Endlich seufzte er. »Sie können überall sein. Wir können nur warten.«
    Um sich von der wachsenden Angst abzulenken, begann Katharina in der Stube umherzugehen. Auf Pömers Pult lag ein Stapel Papier, das der Getreidehändler mit enger Schrift beschrieben hatte. Sie nahm ein Blatt in die Hand und versuchte, es zu entziffern. Es war Lateinisch und mit so vielen Abkürzungen versehen, dass sie nicht schlau daraus wurde.
    »Was habt Ihr da?« Arnulf hob das Kinn.
    »Irgend etwas Medizinisches.« Sie ließ das Blatt sinken. Die beideneinzigen Worte, die sie hatte entziffern können, waren Wundbrand und Blut gewesen.
    »Klar. Er forscht seit Jahren.«
    »Woran?«
    Arnulf wies in Richtung der Kellertür. »Anatomie. Sie machen anatomische Studien«, erinnerte er Katharina. »Heimlich.«
    »Wenn sie es heimlich tun, wie kommt es, dass Ihr darüber Bescheid wisst?«
    »Ich habe ihnen dabei geholfen, an brauchbare Leichen zu kommen.« Arnulf entdeckte eine Schale mit Äpfeln auf einem Tischchen, lehnte sich hinüber und nahm sich einen.
    Katharina schüttelte sich. Die Vorstellung, tote Menschen auseinanderzuschneiden, erschien ihr ekelig. Andererseits: Ob sich durch diese Art der Studien wohl herausfinden ließe, wo die Menschen den Sitz ihrer Gefühle und Gedanken hatten? Sie versuchte, sich vorzustellen, wie ein Herz aussah, wie ein

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